dlh-Presseschau Dezember 2015

Nachfolgend lesen Sie die Presseschau der dlh-Landesvorsitzenden, Edith Krippner-Grimme:

 

idw-online.de, 01.12.2015

Münchner Schulabsolventen-Studie untersucht Berufs- und Lebenswege von Haupt- und Förderschülern

Thomas Britzelmair Medien und Kommunikation, Deutsches Jugendinstitut e.V.

 

Vier Jahre nach der Pflichtschulzeit glückt fast 80 Prozent aller Münchner Hauptschulabsolventen der Einstieg in Ausbildung und Beruf. Zu diesem Ergebnis kommt die Münchner Schulabsolventenstudie, die das Deutsche Jugendinstitut im Auftrag der Landeshauptstadt München als Längsschnittstudie durchgeführt hat. Trotz einer guten Situation auf dem Münchener Ausbildungs- und Arbeitsmarkt scheitert jedoch gut ein Fünftel an dieser Hürde. Häufig führen gesundheitliche und psychische Belastungen dazu, dass diese Jugendlichen Ausbildungen abbrechen, als Ungelernte arbeiten, erwerbslos sind oder erfolglos an berufsvorbereitenden Programmen teilnehmen.

Dieser Trend könnte sich in Zukunft verstärken: In München leben immer mehr Kinder und Jugendliche mit traumatisierenden Kriegs- und Fluchterfahrungen. Ihre Integration kann – so eine zentrale These der Studie – nur gelingen, wenn es entsprechende Angebote für sie gibt. Außerdem müssen bestehende Angebote besser koordiniert werden, damit es zu einer vernetzten Zusammenarbeit von Schulen, Ärzten, Polizei, Kinder- und Jugendmigrationsdiensten und Sozialarbeit kommt.

Jugendliche, die nach neun Jahren die Hauptschule verlassen, wissen oft nicht, welche beruflichen Möglichkeiten ihnen offenstehen. Eltern, Peergroups, soziale Netzwerke und Lehrer spielen bei der Frage, was will ich eigentlich später werden, eine große Rolle. Die meisten Hauptschulabsolventen träumen von einem nahtlosen Übergang von der Schule in die Lehre und einer Vollerwerbstätigkeit bis zur Rente. Doch die Realität sieht anders aus und ist von Brüchen und Umwegen gekennzeichnet, die bei den ohnehin oft mehrfach belasteten Jugendlichen psychische Probleme verstärken können. Eine Reihe der befragten Jugendlichen gerät dabei unter deutlichen Druck, verliert den eigentlichen Wunschberuf aus den Augen und landet bisweilen in einem ungeliebten Ausbildungsberuf, der dann abgebrochen wird.

„Viele dieser benachteiligten Jugendlichen betrachten den Abbruch einer Ausbildung als erneutes Scheitern und trauen sich keinen beruflichen Neubeginn zu“, sagt Dr. Tilly Lex, Mitautorin der Studie. Rund ein Fünftel aller ehemaligen Hauptschulabsolventen befindet sich auf prekären Wegen. Um diese Jugendlichen langfristig zu qualifizieren, sind verschiedene aufeinander bezogene Maßnahmen notwendig, die vor allem die individuelle Lebensplanung der Jugendlichen und deren psychisches Wohlergehen in den Mittelpunkt stellen. Hierzu gehören ein niedrigschwelliges psychotherapeutisches Angebot ebenso wie eine assistierte Ausbildung oder eine neutrale Meditation bei Problemen in der Berufsschule. Ganz entscheidend ist, dass sich eine zentrale Bezugsperson instanzenübergreifend um die Jugendlichen kümmert.

Das Deutsche Jugendinstitut hat jahrzehntelange Erfahrung mit bundesweiten und regionalen Übergangsstudien. Die Münchner Schulabsolventenstudie ist als Längsschnittstudie über mehrere Jahre angelegt. Die befragten Jugendlichen besuchten zu Beginn der Studie 2008 die neunte Klasse einer Haupt- und Förderschule oder die zehnte Klasse einer Haupt- oder Wirtschaftsschule. Ergänzend zu den Ergebnissen der quantitativen Längsschnittstudie mit über 1.000 Befragten standen bei der letzten Erhebung Jugendliche mit prekären Verläufen im Mittelpunkt. Von ihnen besuchten 86 die Hauptschule, 19 absolvierten eine Förderschule. Mit 20 dieser Jugendlichen wurden ausführliche Interviews geführt.

 

Nähere Auskunft erteilen gern:

Dr. Tilly Lex, Forschungsschwerpunkt Übergänge in Arbeit

lex@dji.de

Tel. 089/62306-212

Dr. Felicitas von Aretin, Abt. Medien und Kommunikation (Ltg.)

aretin@dji.de

tel. 089/62306-258

 

bildungsklick.de, 01.12.2015

 

Schulische Inklusion: Überwiegen die Nachteile?

www.inklusion-als-problem.de

 

(red/pm) Seit Jahren gibt es gute Erfahrungen mit integrativem Unterricht (einzelne Schüler mit besonderen Beeinträchtigungen besuchen Regelklassen) – wenn auch nicht bedingungslos (je nach Förderbedarf), und keineswegs zum Nulltarif (nur bei Doppelbesetzung). Angestoßen durch die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) werden nun zunehmend Inklusionschulen etabliert: Das gemeinsame Lernen aller Schüler, ob geistig behindert oder hochbegabt, soll zum flächendeckenden Normalfall werden.

Schon jetzt zeigen sich dabei enorme praktische wie prinzipielle Probleme:

  • vermehrte Flüchtigkeit des fachlichen Lernens durch das nun riesige Leistungsspektrum
  • Vernachlässigung der besonders beeinträchtigten wie auch leistungsstarken Schüler
  • Grenzen individueller Förderung, Konfusion bei zieldifferentem Unterricht in Großklassen
  • Inkompetenz und Überlastung von nur flüchtig „inklusionsgeschulten“ Regelschullehrern
  • Stagnation der (etwa in NRW) dringend nötigen Qualitätssteigerung des Unterrichts

 

Es ist zu befürchten, dass der Trend zur Inklusionsschule die Leistungs- und Sozialentwicklung vieler Kinder gefährdet, dass es weithin zu wohlwollende Vernachlässigung kommt. Das wäre nicht zuletzt auch gesamtgesellschaftlich inakzeptabel. Dabei erfüllt Deutschland die BRK bereits: Unsere Förderschulen gelten laut Konvention gerade nicht als Diskriminierung.

Stärkere Integration oder radikale Inklusion – diese Frage braucht mehr öffentliche Debatte, ohne Blockade durch Maulkörbe oder Denktabus. Die Bildungsschancen unserer Kinder und Jugendlichen dürfen sich nicht verschlechtern – nur weil Finanzminister die Förderschulen einsparen wollen, oder weil Schulideologen noch immer von der Einheitsschule träumen.

Deshalb bietet eine neue Website ab sofort Forschungsbefunden und Praxiserfahrungen ein Forum, die in der Inklusionsdebatte bislang unterrepräsentiert sind.

Exklusive Eröffnungsbeiträge:

  • Prof. Bernd Ahrbeck: Inklusion darf zu keiner Paradiesmetapher werden
  • Prof. em. Rainer Dollase: Soziale Ablehnung statt institutioneller Separierung?
  • Prof. em. Hermann Giesecke: Inklusion als politisch-weltanschauliche Bewegung
  • Prof. Konrad Paul Liessmann: Die inklusive Gesellschaft

 

ovb.de, 02.12.2015

Erneuter Vorstoß für ein G9

 

Die Gymnasiallehrer lassen nicht locker: Bei der Hauptversammlung des Philologenverbands soll erneut der Weg zu einem „neuen G9“ diskutiert werden. Hintergrund sind auch erste, eher mäßige Erfahrungen mit der Mittelstufe plus.

von Dirk Walter

 

München – Das Volksbegehren der Freien Wähler zur Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums ist im Juli 2014 mit Karacho durchgefallen. Doch das stört den Bayerischen Philologenverband offenbar keineswegs. Er macht nach einer Atempause in der Diskussion wieder Front gegen die bestehende Schullandschaft. „Wenn wir Hochbegabte in acht Jahren zum Abitur führen wollen, die Mehrheit aber mehr Zeit braucht, gilt es über die Wege dahin neu nachzudenken“, heißt es in der Vorankündigung der Hauptversammlung, zu der ab Donnerstag in Augsburg 200 Delegierte eingeladen sind. Der Verband werde „sein Modell für ein neues neunjähriges Gymnasium“ weiterentwickeln. Gegenüber unserer Zeitung sagt Verbandsvorsitzender Max Schmidt: Das Gymnasium werde „billiger und besser“, wenn man es „von neun Jahren her denkt“. Das G8 sei „nur für eine Minderheit“, vielleicht 30 Prozent der Schüler, der richtige Weg.

Mehrere Gründe nennt Schmidt für seinen erneuten Vorstoß. So sei die Konzeption der Oberstufe nach wie vor unausgegoren. Nur wenige Schüler wählten zum Beispiel Physik, Chemie und Biologie – jene Fächer, die gerade von der Wirtschaft immer wieder gefordert würden. Außerdem führt Schmidt die Flüchtlings-Zuwanderung an. „Das ist auch eine Herausforderung für die Gymnasien“, betont er. Flüchtlingskinder dürften nicht nur an Mittel- und Berufsschulen unterkommen. „Da sind doch viele dabei, deren Eltern Uni-Abschlüsse haben“. Wenn die Kinder Deutsch gelernt hätten, dann dürfe einem Übertritt aufs Gymnasium nichts entgegenstehen. Schmidt weiter: „Das Gymnasium darf nicht die Schule der Deutschen werden.“ Und das G9 sei da besser als das G8. Ein weiterer Grund für Schmidts Überlegungen ist die Mittelstufe plus. So heißt der Schulversuch, in dem die 8. bis 10. Jahrgangsstufe auf vier statt drei Jahre ausgedehnt wird. 47 Gymnasien in Bayern probieren das aus. Am Gymnasium Miesbach haben gleich drei der vier achten Klassen auf die Mittelstufe plus umgestellt. Erste Erfahrungen stimmen Schulleiter Rainer Dlugosch, der ein Gymnasium der zwei Geschwindigkeiten befürwortet, nachdenklich. Bei den Schülern der Mittelstufe plus stelle er eine „Sorglos-Mentalität“ fest. Die Noten seien nicht berauschend, wie auch der erste Zeugnis-Zwischenbericht diesen Freitag ergeben werde. Die Schüler hätten bewusst keinen Nachmittagsunterricht, die Freizeit werde jedoch nicht genutzt, „um Lücken im Stoff zu schließen“. Auch Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbands und Schulleiter in Deggendorf, warnt: Die Mittelstufe plus dürfe nicht „zur Hängematte“ werden. Der Jahrgangsstufentest der Achtklässler in Mathe sei an seiner Schule im Mittelstufe-plus-Zug schlechter ausgefallen als im G8-Zug, wenngleich Meidinger gleichfalls betont, dass es beim Deutsch-Test diese Unterschiede nicht gab.

Das Kultusministerium kann nicht über Probleme berichten. „Wir haben auch Rückmeldungen, dass Schüler sich sehr engagiert den Möglichkeiten widmen, die ihnen das Pilotmodell eröffnet“, erklärt Sprecher Ludwig Unger. Den Vorstoß des Philologenverbands will er nicht kommentieren. Jede Stellungnahme sei wertvoll.

Schon einmal, im Dezember 2013, hatte eine Hauptversammlung des Philologenverbands den Anstoß zu einer langen öffentlichen Debatte über das G9 geführt. Damals sprachen sich in Amberg fast alle Delegierten für das G9 aus – in der Folgezeit gab es erst das Volksbegehren, dann die Kurskorrektur des Ministeriums, die zur Mittelstufe plus führte. Ob sich nun die Geschichte wiederholt?

 

news4teachers.de, 03.12.2015

Schüler ausgespäht? – Google wehrt sich gegen Vorwürfe

 

SAN FRANCISCO. Spioniert der Internetriese Google Schüler und Studenten aus, die mit Google-Geräten arbeiten? Das behauptet die amerikanische Datenschutzstiftung EFF. Der Konzern weist die Vorwürfe zurück. «Wir beachten die Privatsphäre von Schülern», betonen Firmenvertreter.

Google hat die Spionage-Kritik der US-amerikanischen Datenschutzstiftung EFF zum Einsatz von Chromebooks und Google-Apps in Schulen und Universitäten zurückgewiesen. Google halte sich nicht nur an die Gesetze, sondern beachte auch die Datenschutz-Selbstverpflichtung «Student Privacy Pledge», erklärte der Internet-Konzern.

Die Electronic Frontier Foundation hatte Google zuvor vorgeworfen, Schüler und Studenten auszuspionieren, die mit Geräten des Internet-Konzerns arbeiten. Eine entsprechende Beschwerde wurde bei der US-Handelskommission FTC eingereicht. Nach Darstellung der EFF speichert Google über die genutzten Chromebooks persönliche Daten der Schüler und Studenten.

Die Daten würden nur erhoben, damit Lehrer und Schüler auf die Werkzeuge zugreifen könnten, sagte Google-Managerin Jonathan Rochelle, die für die «Google Apps for Education» verantwortlich ist. Dabei werde die Privatsphäre der Schüler beachtet. Die Daten aus Chrome Sync stellten sicher, dass Schüler über verschiedene Geräte hinweg auf ihre Daten und den Browserverlauf zugreifen könnten. Außerdem verwende man die Daten, um den Service zu verbessern. So werde beispielsweise eine Webseite in den Suchergebnissen bei Google herabgestuft, wenn sich herausstelle, dass sie nicht mehr erreichbar sei.

 

wz.de, 05.12.2015

Wenn die Helikoptermama mit dem Sohn zur Uni kommt

 

Immer mehr Eltern dehnen ihre Sorge ums Kind ins Studium aus. Mitunter schießen sie dabei über das Ziel hinaus, wissen Studienberater. Im Hörsaal sind die Studenten nach wie vor unter sich – in der Beratung oftmals nicht.

 

Düsseldorf. Studienberater erleben immer öfter, dass künftige Studierende ihre Eltern mitbringen. Die vermeintliche Unterstützung entwickelt sich dort hin und wieder zur überfürsorglichen Übernahme. „Wir wollen studieren“, heißt es dann aus dem Mund der Helikoptereltern.

Das Phänomen hat mehrere Ursachen. G8, die verkürzte Oberstufe, sorgt dafür, dass Minderjährige an die Unis streben. Zum Wintersemester (WS) 2013/14 nahmen 928 Personen unter 18 Jahren ihre Studium an NRW-Hochschulen auf (bundesweit etwa 3000). Dort erwarten sie 9700 mögliche Studiengänge und die Regelstudienzeit. Der Druck wächst – bei Kind und Eltern.

„Das Interesse der Eltern ist grundsätzlich gut. Problematisch wird es nur, wenn es das normale Maß verlässt.“ Stefan Hatz, Zentrale Studienberatung bei der GIBeT

Helikoptereltern sind „überinvolviert, überbehütend und stark autonomieeinschränkend“ und suchen „dabei auch noch die Schuld für Niederlagen des Kindes bei Dritten“, erklärt Daniel Wilhelm in seiner Diplomarbeit zum Thema (2013). Mit „negativen Folgen für ihre Kinder“, so der Diplom- Psychologe der Zentralen Studienberatung der Universität Bielefeld, die dadurch unselbstständiger würden. Gründe für das Verhalten der Eltern seien Studentenüberschuss (717 858 in NRW zum WS 14/15) Akademisierungswahn, Wirtschaftskrisen und Schuldendebatten zu diffusen Abstiegsängsten in der Bevölkerung führten. Um den sozialen Status der Baby-Boomer-Eltern zu halten, müssten deren Kinder sich aus der Masse abheben. Ein Hochschulabschluss allein genüge nicht. Engagement sei gefragt.

Auch beim Fachverband der Studienberater, der GIBeT (Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen), kennt man „teilweise übergriffliche“ Eltern. „Da ruft dann die Mama wegen der Studienzulassung an, weil das Kind arbeiten müsse“, schmunzelt Stefan Hatz. Die meisten Eltern aber nähmen einfach ihre Verantwortung wahr.

Eltern geben Geld und wollen wissen, wofür. Das „Projekt (Einzel=)Kind“ solle Erfolg haben: „Das Interesse der Eltern ist grundsätzlich gut. Problematisch wird es nur, wenn es das normale Maß verlässt.“ Allerdings werde den Studienanfängern durch die Regelstudienzeit auch einiges abverlangt. Viele Studenten verlangten von sich, binnen sechs Semestern fertig zu werden und einen Auslandsaufenthalt unterzubringen. Die Minderjährigkeit durch G8 dagegen reguliere sich oftmals von selbst: Viele Abiturienten schöben ein freiwilliges soziales oder ein Au Pair-Jahr ein.

An der Bergischen Universität Wuppertal haben die Studienberater ein steigendes Eltern-Interesse vor allem im Zuge des doppelten Abijahrgangs (2013) wahrgenommen. Jährliche Elterninfoabende wurden eingeführt. Christine Hummel, Leiterin der Studienberatung, sagt: „Wir freuen uns über das Interesse der Eltern, schreiten aber ein, wenn sie für das Kind sprechen, das daneben sitzt und schweigt.“

Die Studenten heutzutage seien pragmatisch, medienaffin, präsentationstechnisch fit und, so Hummel, „sie begrüßen durchaus Lotsen durchs Dickicht des komplexen Unibetriebs“ .

Heutige Eltern wollen mehr gestalten, absichern und kontrollieren, weiß Diplompädagogin Brigitte Albrecht vom Studierendenservice der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Eltern, die kommen und sich nach dem Leistungsstand des studierenden Kindes erkundigen, seien aber die absolute Ausnahme.

 

nwzonline.de, 10.12.2015

Lehrer als Terror-Warner

Kultusministerin stärkt Prävention an Schulen – Junge Männer gefährdet

Der islamische Religionsunterricht wird ausgebaut. Salafisten sollen keine Chance haben.

 

HANNOVER. Die Schule als Frühwarnstelle im Kampf gegen gewaltverherrlichende Salafisten und Islamisten: Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) will Lehrer und Sozialarbeiter viel stärker einbinden in Präventionsarbeit, um eine islamistische Radikalisierung junger Menschen zu verhindern. Dazu werde der islamische Religionsunterricht „ausgebaut“, kündigte Heiligenstadt im Rahmen einer großen Konferenz von Pädagogen, Schülern und Islam-Experten zum Thema Salafismus in Schulen am Mittwoch an.

Bisher gibt es 30 islamische Religionslehrer in Niedersachsen, die zahlreiche Schulen betreuen. „Der Religionsunterricht ist als Prävention nicht zu unterschätzen“, betont der Osnabrücker Islam-Wissenschaftler Michael Kiefer, der zugleich Alarm schlägt angesichts der hohen Zahl junger Menschen, die von Deutschland aus als Gotteskrieger in den Dschihad ziehen und sich beispielsweise der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien anschließen. Kiefer schätzt die Zahl der Ausgereisten im Alter zwischen 17 und 25 Jahren auf mittlerweile über 700, aus ganz Europa auf über 5000 radikalisierte Islamisten. Auch Frauen würden immer mehr den Männern folgen. Allein aus Oberhausen brachen 17 junge Frauen, teilweise mit drei Kindern, nach Syrien auf, um dort zu kämpfen.

Gerade Jugendliche würden angezogen von der „Hypermännlichkeit“, die der IS als Bild besonders in den sozialen Medien verbreite, berichtet Kiefer. Schwarz gekleidet, gut aussehend und dazu martialische Waffen – solcher Pathos der IS-Videopropaganda trifft auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden, animiert junge Menschen, auch mal „Held“ zu sein in der „Schlacht um die Welt“. Mit Religion habe die Entscheidung, in einen Krieg zu ziehen, häufig nichts zu tun. Die deutschen „Dschihadisten“ würden oft „nur wenige Koran-Verse kennen“, berichtet Kiefer.

 

welt.de, 13.12.2015

Tausend Jahre sind eine Stunde

Französische Revolution, Weimarer Republik, SED – immer mehr deutsche Schüler können nichts mit diesen Begriffen anfangen. Geschichte kommt an vielen Schulen zu kurz. Systematisch. Vom Niedergang eines Schulfachs

 

Kaum gegründet, bricht die DDR auch schon wieder zusammen. Historische Ereignisse vollziehen sich zwar bisweilen rasend schnell. Doch so flott wie es der Lehrplan des Fachs Geschichte für die Mittelstufe in Nordrhein-Westfalen andeutet, geht es selten. Dort sind unter dem Oberpunkt „Neuordnungen der Welt und Situation Deutschlands“ aufgeführt: „Gründung der Bundesrepublik, Westintegration, deutsche Teilung.“ Es folgen sogleich: „Zusammenbruch des kommunistischen Systems, deutsche Einheit.“ Fehlt da nicht etwas? Die Ostpolitik Willy Brandts? Gründung und Herrschaft der SED? 40 Jahre DDR? Achtundsechziger und deutscher Herbst? All das gehört nicht zu den „obligatorischen Inhalten“, von denen der Lehrplan spricht.

Vieles von dem, was in den vergangenen Monaten passiert ist, wird wohl einmal in Geschichtsbüchern auftauchen. Das Jahr 2015 gilt bereits als Epochenjahr. Die neue Völkerwanderung, die Flüchtlingsströme. Die abrupte Entsolidarisierung Europas, die Rolle der Bundeskanzlerin. Das Wüten des „Islamischen Staats“, die Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Terror.

„Immer wieder heißt es, dass wir in historischen Zeiten leben“, sagt Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbands. „Doch ich bezweifle, dass der Geschichtsunterricht noch in der Lage ist, die historische Dimension dieser heutigen Zeit zu vermitteln.“ Denn die Schüler seien immer weniger in der Lage, Zusammenhänge zwischen früher und heute herzustellen, Lehren aus der Geschichte zu ziehen.

„Tausend Jahre sind ein Tag“, sang Udo Jürgens einst. Im Hinblick auf das Fach Geschichte hat er damit einen Punkt gemacht. Denn der Geschichtsunterricht reserviert oft nur einen Tag, eine einzige Unterrichtsstunde für Ereignisse, für die Taten von Mächtigen und Machtlosen, die Jahrhunderte, ja Jahrtausende nachwirken.

Bundesweit wird immer weniger Geschichtsunterricht erteilt. In vielen Klassenstufen haben die Kinder und Jugendlichen lediglich eine Stunde pro Woche. In Nordrhein-Westfalen wurde mit Einführung des achtjährigen Gymnasiums ein ganzes Jahr Geschichtsunterricht gestrichen. Sukzessive wird das Fach zudem mit anderen wie Erdkunde oder Soziologie, sogar mit Wirtschaft fusioniert.

Darüber hinaus gibt es nur einen Minimalkonsens, was gelehrt werden soll. Nationalsozialismus? Kein Zweifel. Doch schon Aufstieg und Niedergang der Weimarer Republik halten Kultusverwaltungen für verhandelbar. Holocaust? Natürlich. Aber der menschenverschlingende Verlauf des Ersten und Zweiten Weltkriegs wird übergangen. Schließlich ist Deutschland ein friedliebendes Land. „Der Verlauf von Kriegen spielt im Unterricht keine Rolle mehr“, sagt der Geschichtsdidaktiker Thomas Sandkühler von der Humboldt-Universität Berlin. In den vergangenen Jahrzehnten habe Krieg ja als schiere Unmöglichkeit, als nicht führ- und gewinnbar gegolten. Warum ihn also lehren? „Jetzt, wo Krieg als Mittel der Politik zurückkehrt, stellt uns das natürlich vor Probleme.“

Während die politische Bedeutung Deutschlands in der Welt zweifelsohne gewachsen ist, verschwinden Epochen, in denen Deutschland oder andere Staaten die Welt in Atem hielten, aus dem Unterricht. So können die Schulen in Schleswig-Holstein den Themenbereich „Weltpolitische Problemfelder im 20. Jahrhundert“ in der zehnten Klasse streichen. Ausgerechnet über heutige „Krisenherde und neue Mächte“ sowie „internationales Konfliktmanagement“ erfahren die Schüler nichts. Das Land Berlin hat in der Mittelstufe Imperialismus und Kaiserreich abgeschafft. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dürfte so nur schwer verständlich sein. In Baden-Württemberg sind die Französische Revolution und die russische Geschichte vor 1945 herausgefallen. Andere Themen sind abwählbar, darunter der Komplex Versailler Vertrag. Ist das für das Verständnis des 20.Jahrhunderts nicht so, als würde Beethovens Fünfter das Anfangsmotiv genommen und im zehnten Takt mit der Musik begonnen?

In Bayern fehlen in der Oberstufe Hitlers Außenpolitik, der Erste und der Zweite Weltkrieg, die Novemberrevolution. Einiges davon taucht in der Mittelstufe auf, vertieft wird es aber nicht mehr. In der Diskussion über den neuen Lehrplan wird sogar ernsthaft erwogen, das Epochenjahr 1923, in dem Inflation und Putschversuche die Weimarer Republik erzittern ließen, nicht zu behandeln.

Ganz verabschieden wollten sich Berlin und Brandenburg bis zur achten Klasse vom Ordnungsprinzip der Chronologie. Es sollte nur noch Schwerpunkte, sogenannte Längsschnitte geben wie „Krieg und Frieden“ oder „Handel im Wandel“. Viel Kritik zum Trotz gilt der Plan ab 2017. Als Zugeständnis dürfen Lehrer in der siebten und achten Klasse weiter chronologisch unterrichten – wenn sie wollen. „Der Unterricht in Längsschnitten führt dazu, dass die Schüler alles durcheinanderwerfen. Die Vorstellung vom zeitlichen Nacheinander ist weg. Da gibt es keine Epochen mehr“, sagt Verbandschef Meidinger. „Bei dieser Methode werden abstrakte Begriffe oft zu schnell und zu definitiv verabreicht“, stimmt Didaktiker Sandkühler zu.

Er beklagt vor allem, was bisher gar nicht aufgenommen wurde. „Dass die Religion als weltpolitischer Faktor keine Rolle spielt, ist ein großes Defizit. Gerade mit Blick auf unsere heutige Zeit.“ Auch die Geschichte des Nahen Ostens habe im Geschichtsunterricht gar keine oder eine verschwindend geringe Bedeutung. Doch auch in der jüngsten deutschen Geschichte klafft ein Loch.

Dazu hat Klaus Schröder einiges zu sagen. Schröder leitet den Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Er seufzt, kurz bevor er zur Erstsemesterveranstaltung eilt. „Die Studenten wissen nur Schlagworte über die DDR. Für sie ist das der Stasi-Staat. Dass die SED die entscheidende Kraft war, das überrascht sie geradezu. Die SED halten manche sogar für eine soziale Partei“, sagt Schröder. Die Zeit zwischen 1945 und 1990 sei, was die Geschichte der Bundesrepublik wie der DDR betreffe, ein blinder Fleck.

Vor drei Jahren stellte Schröders Team das Geschichtswissen von 7000 Neunt- und Zehntklässlern auf die Probe. Das Ergebnis war erschreckend. Sehr viele konnten den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur nicht beschreiben. Jeder Dritte hielt die DDR für durch demokratische Wahlen legitimiert. Kaum besser sah es für die Bundesrepublik aus, die die Hälfte als undemokratisch erachtete. Und nur knapp jeder Zweite sah im Nationalsozialismus zweifelsfrei eine Diktatur.

Eine Ahnungslosigkeit, die viel damit zu tun hat, dass sich das Verständnis von den Aufgaben des Geschichtsunterrichts verändert hat. Blickt man in die Lehrpläne der Bundesländer, offenbart sich eine Scheu, auf Macht und Mächtige zu blicken, das Zustandekommen und die Mechanismen von Herrschaftsstrukturen zu analysieren. Von den Herrschern schweift der Blick immer mehr ab zu den Beherrschten. Man schaut von unten nach oben. Als Schwerpunkt werden etwa im NRW-Plan beim Punkt Nationalsozialismus „Individuen und Gruppen zwischen Anpassung und Widerstand“ hervorgehoben. Ein mehrfach wiederkehrender Komplex widmet sich der Frage „Was Menschen voneinander wussten“.

Der Bildungsplan Hamburgs für die neunte und zehnte Klasse, der gar keine konkreten Inhalte aufführt, formuliert in Frageform: „Wie veränderten sich die Verhältnisse zwischen Arm und Reich, Jung und Alt und Mann und Frau in den letzten 200 Jahren? Ist ein Zusammenleben von Menschen ohne Ausbeutung und soziale Ungleichheit möglich? Warum faszinierte der Nationalsozialismus so viele Menschen in Deutschland?“

Hier zeige sich ein Trend, meint Philologenchef Meidinger: „Die Alltagsgeschichte durchdringt viele historische Betrachtungen. Das ist nicht zu verurteilen. Die Frage ist aber, ob dadurch das historische Wissen verbessert werden kann.“ Und führt womöglich die Betrachtung des Alltags, des Lebens der Individuen in der Diktatur dazu, dass die Diktatur weniger Furcht erregend erscheint?

Früher wurden geschichtliche Epochen in ihrer chronologischen Abfolge gelehrt, und zwar als Zeiten, in denen große Männer wirkten. Geschichte wurde von Siegern geschrieben, die Großtaten Einzelner trieben den Weltenlauf voran, Alexander durchschlug den Gordischen Knoten, Cäsar überschritt den Rubikon, Napoleon beherrschte Europa.

Heute ist Sieger-Geschichte verpönt. Wahrscheinlich werden deshalb Bundesrepublik und DDR oft wie zwei vollkommen bezugslose Gebilde betrachtet, um den Ruch der Sieger-Geschichte zu vermeiden. Manchmal fällt das Thema auch ganz hinten runter. „Wer in Mecklenburg-Vorpommern nach der zehnten Klasse vom Gymnasium abgeht, hat nie was von der DDR gehört. Denn sie wird bis dahin nicht behandelt“, sagt Ulrich Bongertmann, Vorsitzender des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands.

Es gebe überall eine starke Tendenz zur Vernachlässigung historischer Bildung, sagt Geschichtsdidaktiker Sandkühler. „Der Trend geht hin zu den Gesellschaftswissenschaften.“ In Berlin und Brandenburg etwa gibt es in der Unterstufe nur noch ein Mischfach aus Erdkunde und Geschichte. „Das führt dazu, dass Lehrer, die ein Fach gar nicht studiert haben, es dennoch unterrichten müssen. Das bringt notwendigerweise einen Niveauverlust und bedingt eine Entfachlichung“, ergänzt Bongertmann.

Begründet wird das weniger fachlich als pädagogisch. Es soll garantiert sein, dass die Schüler nur wenige Lehrer haben, die sie – im Idealfall – bestens kennen und individuell fördern. Deshalb sind gerade in den Sekundarschulen, der zweiten Säule neben dem Gymnasium, Mischfächer auf dem Vormarsch. Dort lernen Schüler mit Haupt- und Realschulempfehlung zusammen mit solchen, die Abitur machen wollen. Ohne individuelle Förderung kann das schwerlich funktionieren. Doch auch am Gymnasium greift die Entwicklung um sich. So wird wohl in der Oberstufe in Bayern Geschichte mit Sozialkunde verschmolzen. Statt vier soll es nur noch zwei Stunden Unterricht pro Woche geben.

Zwei entscheidende Ursachen lassen sich für die Krise des Fachs ausmachen. Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums und der Pisa-Schock. Die Verkürzung der Schulzeit führte zu einer Reduzierung der Inhalte. In allen Fächern. Einen Konsens darüber, was man weglässt, gab es nicht. Jedes Bundesland entschied sich für etwas anderes.

Vielleicht wäre Geschichte besser weggekommen, wäre 2001 nicht die Pisa-Studie erschienen. Fortan laborierten die Kultusminister an den Folgen des Pisa-Schocks – der Erkenntnis, dass Deutschland nicht so schlau ist wie gedacht. Geschichte spielt bei Pisa gar keine Rolle. Genau das ist das Problem. Deutsch, Mathematik und die Naturwissenschaften wurden zu den alles überragenden Fächern stilisiert. „Wir haben mittlerweile eine Zweiklassengesellschaft in der Schule. Die wichtigen und die vermeintlich unwichtigen Fächer. Das war noch nie so deutlich“, sagt Ulrich Bongertmann. An den „unwichtigen Fächern“ wie Geschichte wird gespart.

Die Kultusministerkonferenz hat sich nach Pisa darangemacht, für die genannten Fächer sowie Englisch und Französisch Bildungsstandards zu entwickeln. Über Standards für Geschichte wurde nur nachgedacht. Und das liefert das Fach den persönlichen und politischen Interessen von Bildungsbürokraten und Lehrern aus. Denn ihnen überlassen es die Ministerien immer öfter, welche Inhalte sie durchnehmen – und welche nicht. Der minimalistische Lehrplan aus NRW spricht da eine deutliche Sprache, ebenso der Thesenplan aus Hamburg. „Wenn ein Lehrer in Hamburg keine Lust auf die Französische Revolution hat, kann er gute Gründe finden, sie nicht zu unterrichten und stattdessen etwas anderes“, sagt Meidinger.

Diese Begründung lautet Kompetenzorientierung. Beispiel NRW-Lehrplan: Schüler sollen „erklären, argumentieren, zusammenfassen, diskutieren und zuhören“ lernen. Wert wird auch auf „kooperieren, planen, organisieren, arbeitsteilig recherchieren, helfen und sich helfen lassen“ gelegt. Kompetenzen im Bereich „soziales und interkulturelles Verstehen“ sollen sie erwerben, sie sollen „in Alternativen denken, eigene Gefühle artikulieren, Gefühle anderer wahrnehmen und bewerten.“ Klingt wie eine Schule des Lebens, aber klingt es auch wie Unterricht?

Inhalte sind nur noch Mittel zum Zweck. Denn im Grunde ist es unerheblich, ob man „kooperieren, planen, organisieren“ anhand der Auseinandersetzung mit der attischen Polis oder der Revolution von 1848 einübt. Ist es schon schwierig genug, zu entscheiden, was historisch wirklich wichtig ist, so relativiert die Kompetenzorientierung die Wertmaßstäbe völlig. „Kompetenzen fordern ein Output-orientiertes Denken, sie ,rücken den Blick weg von den zu behandelnden ‚Sachen‘ und hin zu den zu befähigenden Schülerinnen und Schülern“, heißt es im Lehrplan NRW.

Es ist logisch, dass ein Fach wie Geschichte, für das Fakten und Wissen essenziell sind, damit ein fundamentales Problem bekommt. „Die Inhalte werden verhandelbar. Sie dienen ja nur einem Zweck: der Kompetenzvermittlung“, sagt Meidinger. Im Konzept für die Mittelstufe von Schleswig-Holstein heißt es: „Um Vorrang problemorientierter Lernprozesse vor der reproduzierenden Anhäufung von Daten und Fakten zu ermöglichen und unterrichtliche Gestaltungsspielräume zu schaffen, ist die Reduktion der Stofffülle ein wichtiges Merkmal des vorliegenden Lehrplans.“

Udo Jürgens wusste schon vor Jahren, was sich Kultusverwaltungen offenbar heute zum Grundsatz gemacht haben. „Ach Kind, komm‘ lass die Fragerein/ Für so was bist du noch zu klein“, textete er in „Tausend Jahre sind ein Tag“. „Du bist noch lange nicht so weit/ Das hat noch Zeit.“

 

news4teachers.de, 14.12.2015

Flüchtlingskinder: Bundesländer reagieren auf Lehrermangel

 

DÜSSELDORF. Die steigende Zahl schulpflichtiger Flüchtlings- und Migrantenkinder stellt alle Bundesländer vor dasselbe Problem: Es fehlen Lehrer, die die zusätzlichen Schüler unterrichten können. Die Landesregierungen begegnen diesem Problem oftmals mit dem gleichen Mittel: Sie schaffen neue Stellen. Doch nicht in jedem Land stehen ausreichend unbeschäftigte Lehrkräfte zur Verfügung – kreative Lösungen sind gefragt.

Die Brandenburger Landesregierung hat angekündigt, 2016 weitere 260 Lehrer einzustellen. Damit reagiere die Koalition aus SPD und Linke auf die große Zahl an Flüchtlingskindern, die in Brandenburg zur Schule gehe. In diesem Jahr hatte das Land bereits Geld für 340 zusätzliche Lehrkräfte bereitgestellt. Den gleichen Plan verfolgt die sächsische Staatsregierung: Mit Beginn des zweiten Schuljahres wollen die regierenden Parteien CDU und SPD 760 neue Lehrer unbefristet einstellen, um dem Generationenwechsel und der wachsenden Schülerzahl zu begegnen. Für die 760 neuen Stellen gibt es laut dem Direktor der Sächsischen Bildungsagentur, Béla Bélafi, mehr als 1600 Bewerber, die Hälfte davon kommt aus Sachsen.

Doch nicht überall können Landesregierungen den bestehenden Bedarf mit Neueinstellungen decken. So berichtet die Augsburger Allgemeine Zeitung (AZ), dass in Bayern in Ausnahmefällen sogar Lehramtsstudierende bereits unterrichten dürfen. Dafür reiche das erste Staatsexamen. „Wir brauchen in der jetzigen Situation kreative Lösungen“, zitiert die AZ den Sprecher des Kultusministeriums, Ludwig Unger. Studenten sollen demnach aber nur zum Einsatz kommen, „wenn geeignete Lehrkräfte über andere Wege nicht gefunden werden“. So bitte das Kultusministerium etwa, Teilzeitkräfte ihre Stundenanzahl zu erhöhen und Lehrer kurz vor dem Rentenalter ihren Ruhestand aufzuschieben. Gymnasial- und Realschullehrer, die auf eine Stelle warten, versuche das Ministerium zudem für die Arbeit an Grund-, Mittel- und Berufsschulen zu gewinnen. Wie erfolgreich all diese Maßnahmen sind, ist allerdings noch unklar. Der Ministeriumssprecher will sich laut AZ erst dazu äußern, „wenn die ersten Verträge schwarz auf weiß unterschrieben sind“. Die CSU geführte Landesregierung will ab Januar über das Jahr insgesamt 1079 befristetet Lehrerstellen in Bayern besetzen. Zusätzlich will der Freistaat 621 Stellen für Fachpersonal wie Sonderpädagogen schaffen. Die Mittel dafür aus dem Nachtragshaushalt sind seit etwa einer Woche offiziell genehmigt, heißt es im Beitrag der AZ.

Auch der baden-württembergische Landtag hat vor etwa einer Woche im Nachtragshaushalt 600 zusätzliche Lehrerstellen für die Vorbereitungsklassen beschlossen. Das berichtet die Online-Ausgabe der Tageszeitung „Stuttgarter Nachrichten“ (StN). Im Sommer hatte die grün-rote Landesregierung bereits 562 weitere Stellen bewilligt. Sie wirbt wie die bayerische Staatsregierung um pensionierte Lehrkräfte – und das mit Erfolg. 480 Lehrer im Ruhestand haben dem StN-Bericht zufolge gegenüber der Schulverwaltung Interesse bekundet, Flüchtlingskinder zu unterrichten. Ein Großteil wolle zehn Unterrichtsstunden pro Woche arbeiten. Die Tageszeitung bezieht sich auf Informationen des Sprechers des Kultusministeriums.

An pensionierte Lehrkräfte hat sich ebenfalls die niedersächsische Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) gewandt – nach Informationen des Deutschlandfunks (DLF) allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Bislang sollen sich nur wenige Ruheständler auf den Aufruf gemeldet haben. Eventuell liegt es an dem Angebot: Rückkehrer aus dem Ruhestand können stundenweise arbeiten und werden dafür bezahlt. Während in Baden-Württemberg die Ruheständler ihre volle Pension und den vollen Lohn für ihre Arbeit erhalten – unabhängig von dem Umfang der geleisteten Arbeit – verrechnet Niedersachsen ab einer bestimmten Obergrenze das Einkommen mit der Pension.

Die niedersächsische Kultusministerin sieht die Pensionäre als Ergänzung zu den zusätzlich geschaffenen Stellen, wie der DLF berichtet. Zudem bereichern sie laut Heiligenstadt den Schulalltag. „Es ist gut fürs Schulklima, fürs Kollegium, für die Schüler – und die pensionierten Lehrer sind ja nicht jeden Tag da, sodass insgesamt, denke ich, eine gute Mischung an den Schulen hergestellt werden kann“, zitiert sie der DLF. Dem Beitrag zufolge plant die SPD-Politikerin für die Zukunft, auch Sprachlern-Apps zu nutzen und Deutschkurse per Videokonferenz zu übertragen. Die Kinder „können sich durch entsprechende technische Möglichkeiten, melden, sich zu Wort melden. Den Unterricht mitgestalten und ganz lebhaft am Unterricht mitwirken“.

 

br.de, 16.12.2015

Lehrerverbandspräsident Josef Kraus: Zu wenig Lehrer für Flüchtlingskinder

 

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus aus Ergolding, fordert deutlich mehr Lehrer für Flüchtlingskinder. Die bisher von den Bundesländern geplanten 7.835 zusätzlichen Lehrerstellen seien nur „ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagte Kraus der Passauer Neuen Presse.

Auch die von der Kultusministerkonferenz errechneten gut 20.000 Lehrer würden auf Dauer nicht ausreichen.

„Über kurz oder lang werden wir 400.000 bis 500.000 schulpflichtige Flüchtlingskinder in Deutschland haben. Da ist man schnell bei einer Größenordnung von bis zu 50.000 Lehrern, die benötigt werden.“

Die Länder hatten im Oktober ihre Gesamtkosten für die Schulbildung von Flüchtlingskindern 2014/15 auf mindestens 2,3 Milliarden Euro beziffert. Bei rund 325.000 Schülern unter den Asylbewerbern würden voraussichtlich über 20.000 Lehrer mehr benötigt, so die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Brunhild Kurth. Trotz der Länderzuständigkeit im Schulbereich müsse der Bund mehr Hilfe leisten.

Der Deutsche Lehrerverband ist nach eigenen Angaben die Dachorganisation von 160.000 Lehrern, die in Bundesverbänden organisiert sind.

 

news4teachers.de, 18.12.2015

Lorz verteidigt Verweise und Geldbußen für streikende Lehrer

 

WIESBADEN. Auch beamtete Lehrer hatten sich im Sommer in Hessen an Protesten gegen die geplante Erhöhung der Wochenarbeitszeit beteiligt. Ihnen drohen Verweise und Geldbußen Arbeitsniederlegungen seien mit dem Berufsbeamten unvereinbar, betonte im hessischen Landtag Kultusminister Alexander Lorz.

Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hat die Disziplinarmaßnahmen der Staatlichen Schulämter gegen streikende beamtete Lehrer verteidigt.

Arbeitsniederlegungen seien mit dem Berufsbeamten unvereinbar, sagte der Minister im Wiesbadener Landtag. Die Teilnahme der Pädagogen an den Protestaktionen im Sommer seien daher als Dienstvergehen mit einem Disziplinarverfahren zu ahnden.

Die Maßnahmen seien keine hessische Besonderheit, sondern entsprächen der verfassungsrechtlichen Ausgangslage in allen Bundesländern, betonte Lorz. Die Lehrer erhielten einen Verweis. Bei Pädagogen mit einer herausgehobenen Funktion sowie Lehrern, die am Tag des Streiks für Abiturprüfungen zuständig waren, sei eine Geldbuße vorgesehen.

Hintergrund der Debatte im Parlament war eine Protestaktion von Tausenden Lehrern gegen die vom Land beschlossene Nullrunde für Beamte und die Wochenarbeitszeit von 42 Stunden. An den Protesten im Sommer hatten sich auch beamtete Lehrer beteiligt. Nach den angekündigten Disziplinarmaßnahmen hatten sich die Linken der GEW-Kritik angeschlossen das Vorgehen im Landtag als Armutszeugnis bezeichnete.

 

news4teachers.de, 20.12.2015

Lehrerverbandspräsident Kraus für Einsatz von „Mein Kampf“ an deutschen Schulen

DÜSSELDORF. 70 Jahre nach dem Tod Adolf Hitlers läuft Ende 2015 der Urheberrechtsschutz für seine programmatische Propagandaschrift „Mein Kampf“ aus. Um eine geplante, kritische Neuausgabe hatte es kontroverse Diskussionen gegeben. Lehrerverbandspräsident Josef Kraus spricht sich nun dafür aus, das Werk im Unterricht zu behandeln. Damit erntet er sowohl Zustimmung wie Widerspruch.

Fast 70 Jahre lang sind die Verantwortlichen in Deutschland um eine klare politische Entscheidung zu Hitlers „Mein Kampf“ herumgekommen. Verboten ist die Propagandaschrift in Deutschland – anders als man meinen könnte – keineswegs. Der Besitz des Buchs ist nicht strafbar. Auch der Verkauf ist erlaubt, sofern es sich um eine antiquarische Ausgabe handelt, denn die Urheberrechte liegen beim Freistaat Bayern, der alle Neuauflagen des Buchs unterbunden hat.

Ende 2015 läuft nun das Urheberrecht aus und zumindest theoretisch kann jeder Verleger eine Neuauflage herausbringen, sofern diese nicht den (Straf-) tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Ein Flut von unkommentierten Neuausgaben ist mithin nicht zu erwarten. Dennoch hat das Ende des Urheberrechtsschutzes öffentliche Debatten ausgelöst.

So hat etwa der Freistaat Bayern seine Unterstützung für eine geplante, kommentierte Ausgabe des Münchener Instituts für Zeitgeschichte zurückgezogen. Dennoch soll das Buch nun Anfang Januar 2016 erscheinen, mit einer vergleichsweise kleinen Startauflage von rund 4.000 Exemplaren. Auch der Preis von fast 60 Euro wird viele Neugierige vom Kauf abhalten. Es bleibt also zu erwarten, dass das Thema bald wieder aus den Nachrichten verschwindet.

Spätesten am Freitag hat die Diskussion allerdings auch die Schulen erreicht. Im Handelsblatt sprach sich der Präsident des deutschen Lehrerverbands Josef Kraus dafür aus, das Schüler „Mein Kampf“ im Unterricht lesen sollen. „Im Interesse einer Einheitlichkeit beim schulischen Umgang mit Mein Kampf sollte die Kultusministerkonferenz diesbezüglich zu didaktisch-methodischen Rahmenempfehlungen finden“. Eine professionelle Behandlung von Textauszügen im Unterricht könne ein wichtiger Beitrag zur Immunisierung Heranwachsender gegen politischen Extremismus sein

Die Schulen könnten „Mein Kampf nicht einfach ignorieren. „Denn was für die Schulen verboten wäre – das wissen wir von den Indexlisten der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien – erfreut sich, zum Beispiel via Internet, besonderer Nachfrage“, so Kraus wörtlich.

Nach Meinung des Verbandspräsidenten sollten allerdings nur Auszüge zu behandelt werden, an denen nach dem Prinzip ‚Wehret den Anfängen‘ deutlich gemacht werden könne, „wohin mit einem solchen Pamphlet die Reise gehen kann.“ Überdies solle die Behandlung im Unterricht erst in der Oberstufe erfolgen, also mit Schülern ab dem 16. Lebensjahr.

Zustimmung findet Kraus unter anderem beim bildungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ernst Dieter Rossmann. Diese antisemitische menschenverachtende Kampfschrift historisch zu entlarven und den Propagandamechanismus zu erklären, gehöre in einen modernen Schulunterricht von dafür qualifizierten Lehrkräften.

Charlotte Knobloch, ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland dagegen sieht das  anders: Eine Erziehung von Schülern zu geschichts- und verantwortungsbewussten Menschen sei auch »sehr gut ohne die Lektüre» denkbar. sagte sie dem Handelsblatt. „Solange das Judentum als Religion sowie das blühende jüdische Leben in Deutschland vor 1933 und die Errungenschaften, die unser Land jüdischen Menschen verdankt, im Schulunterricht wenn überhaupt nur stiefmütterlich aufgegriffen werden – solange also deutsche Schüler kaum etwas über Juden wissen, das nicht mit dem Holocaust konnotiert ist – solange halte ich es für unverantwortlich ausgerechnet die zutiefst antijüdische Schmähschrift „Mein Kampf“ im Unterricht zu behandeln“.

Für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Schule bleibe generell immer weniger Zeit. „Ich mag mir nicht ausmalen, was geschieht, wenn der Pausengong ertönt, ehe die Zerlegung und Aufklärung über die menschenverachtenden Inhalte abgeschlossen ist, wenn die „professionelle Behandlung“ eben nicht abgeschlossen werden kann“, so Knobloch.

 

Frankfurter Rundschau, 21.12.2015

SCHULE UND BILDUNG

„Ich befürchte Bildungsabbau“; Jürgen Hartmann, Vorsitzender des hessischen Philologenverbands, spricht im Interview mit die Frankfurter Rundschau über das Bulimie-Lernen fürs Abi, überzogenen Ehrgeiz von Eltern und Lehrerstreiks.

 

Mitteilungen des Philologenverbands lesen sich mitunter, als steht die Abschaffung des Gymnasiums bevor. Sehen Sie das Gymnasium tatsächlich bedroht?

Das Gymnasium als Schulform sicher nicht, aber die gymnasiale Bildung sehe ich schon unter Druck.

Was heißt das?

Auf die Gymnasiallehrerinnen und -lehrer prasselt vieles ein. Zum Beispiel müssen wir neben der Studienorientierung immer mehr Berufsorientierung leisten, dazu gehört neuerdings auch ein zweites Berufspraktikum in der Oberstufe. Das halte ich nicht unbedingt für sinnvoll, schließlich ist unser zentrales Anliegen die allgemeine Studienbefähigung durch das Abitur, nicht die Vorbereitung auf eine Berufsausbildung.

Eine Leitfrage ihres jüngsten Verbandstags war, ob die Schülerschaft eingegrenzt werden müsse, um weiterhin dem gymnasialen Anspruch gerecht werden zu können. Besuchen zu viele ungeeignete Jungen und Mädchen das Gymnasium?

Wir freuen uns natürlich über den Zuspruch, den die Gymnasien haben. Wir müssen aber darauf achten, dass die Qualität gehalten wird.

Was bedroht diese Qualität?

Wenn Sie sich die neue Abiturverordnung ansehen, da fallen in vielen Fächern ganze Teile von Aufgabenfeldern weg. In meinem Fach Mathematik etwa, werden die seitherigen Inhalte in Themenfelder überführt, von denen dann einige nicht verbindlich für das Abitur vorzusehen sind.

Wie ist das in anderen Fächern?

In Geschichte wird im neuen Kerncurriculum die Verbindlichkeit gar dermaßen eingeschränkt, dass die Schüler unter Umständen mit zentralen Themen wie der „Weimarer Republik“ nicht konfrontiert werden. In Politik und Wirtschaft erfolgen teilweise bedenkliche Verengungen, so dass die Gefahr besteht, gestaltende Politik auf Wirtschaftspolitik zu reduzieren. Diese Verengungen und Kürzungen ziehen sich, so scheint es, durch alle Fächer hindurch. Das halte ich für eine Form von Bildungsabbau.

Genügen die bisherigen Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht? Mathematik und Deutsch müssen bis zum Abitur belegt werden, Abwählen ist nicht mehr möglich. Es gibt Vergleichsarbeiten in der Mittelstufe und das Landesabitur, bei dem die Ergebnisse in den letzten Jahren nicht schlechter geworden sind.

Seit Einführung des Landesabiturs kann man beobachten, dass alles dafür getan wird, dort gut abzuschneiden. Aber das heißt ja nicht, dass insgesamt besser gelernt wird. Es gibt da den Begriff des Bulimie-Lernens, also dass man alles möglichst schnell in sich aufnimmt, um es dann aber auch ganz schnell wieder loszuwerden.

Soll man es also wieder den Schulen weitgehend überlassen, wie sie das Abitur gestalten?

Wenn man den Schulen diese Freiheiten gibt, wird die Bildung an vielen Schulen sicher nicht schlechter. Der Philologenverband wollte ja auch von Anfang an bei der längeren Gymnasialzeit G9 bleiben, den Kindern mehr Zeit zum Lernen und Reifen geben.

Jetzt kehren die meisten Schulen zu G9 zurück, lassen das Abitur in acht Jahren hinter sich.

Ja, wir haben hier seinerzeit Recht gehabt, über die Jahre Recht behalten und durch die Entwicklung Recht bekommen. Das war ein großer Erfolg für unseren Verband und ein Fortschritt für bessere Bildung. Dass am Ende der Schulzeit eine einheitliche Leistungsüberprüfung erfolgen sollte, ist im Philologenverband aber weitestgehend Konsens.

Kann man die mehr als 50 Prozent eines Jahrgangs, die nach der Grundschule aufs Gymnasium wechseln, zum Abitur führen?

Da spielt sicher hier und da auch der überzogene Ehrgeiz von Eltern eine Rolle. Dieser ist mit Sicherheit nicht gut. Wenn man sich die Studienabbrecher-Quoten von teils mehr als 30 Prozent ansieht, erscheint die Vorstellung, es auf direktem Weg über das Abitur ins Studium schaffen zu wollen, bei so manchem in die falsche Richtung zu führen. Diese Kinder hätten vielleicht besser einen anderen Bildungsweg eingeschlagen, statt von Anfang an überfordert zu sein. Das ist weder für die Kinder noch die Eltern oder Lehrkräfte gut.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Bemühen von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, verstärkt Menschen mit einem Berufsabschluss den Weg an die Hochschulen zu ebnen, auch ohne Abitur?

Es gibt ja schon heute viele Wege, die an die Hochschule führen. Wenn es da für qualifizierte und motivierte Menschen weitere Möglichkeiten gibt, kann ich das nur begrüßen. Diese Wege sind oft noch zu unbekannt.

Das Land Hessen hat seinen Beamten eine Nullrunde verordnet, danach sollen die Bezüge nur langsam steigen, zudem ist die Arbeitsverpflichtung mit 42 Wochenstunden höher als in anderen Bundesländern. Wie ist die Stimmung bei den Lehrkräften?

Die Stimmung ist schlecht. Vor allem die Arbeitsbelastungen sind viel zu hoch und noch gewachsen. Gleichzeitig gibt es nicht nur keine Gehaltserhöhung, sondern Kürzungen, etwa bei der Beihilfe. Generell lässt sich sagen, dass es den Anschein hat, als koppele man den öffentlichen Dienst von der allgemeinen Einkommensentwicklung ab. Der Deutsche Beamtenbund als einer unserer Dachverbände prüft hier gerade eine Klage wegen der Verletzung des Alimentationsprinzips.

Werden Sie Ihre Mitglieder zu einem Streik aufrufen wie die GEW?

Das werden wir nicht tun. Wir werden uns auf die Grundprinzipien des Beamtentums berufen, da kann man nicht während der Dienstzeit einfach mal die Arbeit niederlegen. Hier ist unsere Position klar. Demonstrieren kann man außerhalb der Dienstzeit. Man kann Dienst nach Vorschrift tun, remonstrieren oder sich in einem Berufsverband engagieren und die Öffentlichkeit ansprechen, etwa über die Medien.

Jetzt gab es einen Abbau von Lehrerstellen in der Oberstufe. Wie gravierend war das? Das Ministerium rechnet vor, dass es dabei um einen Schüler mehr pro Kurs geht.

Das hat wehgetan, weil diese Durchschnittsberechnung des Ministeriums nicht die Wirklichkeit, also die tatsächliche Schülerzahl in den Kursen abbildet.

Wie sieht diese Wirklichkeit Ihrer Einschätzung nach aus?

In der Konsequenz fallen ganze Kurse weg, weil für kleine Gruppen kein Kurs mehr zustande kommen kann. Oder es gibt nur noch drei statt vier Englischkurse, entsprechend größer wird die Gruppe, und die Aufgaben für die Lehrkräfte werden umfänglicher. Die Arbeitsbelastung wird deutlich größer. Wo es sicher Einschnitte geben wird, sind die Angebote in Mathematik, Informatik, Technik und den Naturwissenschaften, obwohl dort der Nachwuchs jetzt schon fehlt.

Sind das nicht Luxusprobleme, wenn man sieht, dass Inklusion am Gymnasium kaum umgesetzt werden muss, dort wenige Intensivklassen mit Flüchtlingskindern existieren, während Grundschulen die Angebote in Deutsch als Zweitsprache umsetzen müssen?

Die Belastungen sind überall schon lange Zeit recht hoch. Deshalb finde ich es nicht in Ordnung, die Schulformen gegeneinander auszuspielen. Das hat ja auch nicht funktioniert, diese Umschichtungen haben nahezu alle Gruppen in der Lehrerschaft als unsäglich bezeichnet. Schulen brauchen insgesamt mehr Ressourcen, nicht weniger. Zusätzliche Aufgaben, die Schulen umsetzen sollen, benötigen deshalb auch zusätzliche Ressourcen.

Jetzt soll es in Hessen 800 neue Lehrerstellen geben; die GEW lobt die Landesregierung. Und Sie?

Es ist ja wunderbar, dass dafür jetzt die Mittel zur Verfügung stehen. Vielleicht wäre es ja auch möglich gewesen, das drastische Mittel der Umschichtungen im Sommer diesen Jahres zu vermeiden. Jedenfalls sollte es jetzt gelingen, diese rückgängig zu machen. Auch das wird eine unserer Forderungen sein.

 

news4teachers.de, 21.12.2015

Ministerium: AfD-Rechtsaußen Höcke hätte wohl einen Anspruch auf seine alte Lehrerstelle – Kraus: „sehr fragwürdig“

 

BERLIN. Wie radikal darf ein Lehrer politisch sein, gar ein Geschichtslehrer? Die Frage hat mit dem AfD-Rechtsaußen Björn Höcke an Aktualität gewonnen. Denn: Der Thüringer Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete ist ein freigestellter Oberstudienrat für Sport und Geschichte, zuletzt arbeitete er an einer Gesamtschule im hessischen Bad Sooden-Allendorf. Wegen rassistischer Äußerungen distanziert sich die Spitze seiner Partei von ihm – und legt ihm indirekt einen Parteiaustritt nahe. Doch was würde es beruflich für Höcke bedeuten, wenn er aus der Politik ausschiede? Hätte er einen Anspruch auf seine frühere Stelle?

Das hessische Bildungsministerium erklärt gegenüber der „Bild“-Zeitung: Nur wenn jemand im aktiven Schuldienst die „Pflicht zur Verfassungstreue oder die politische Neutralitäts- und Mäßigungspflicht“ verletzt, könne es ein Disziplinarverfahren geben. Dann aber werde man „sehr genau hinschauen und den Fall einer Prüfung unterziehen“. Heißt: Höcke hätte ein Rückkehrrecht. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht das skeptisch: „Es wäre eine sehr fragwürdige Angelegenheit, wenn dieser Mann eines Tages in den Schuldienst zurückkehrt.“ So zitiert ihn das Blatt. Das „Mäßigungsgebot“ gelte auch für freigestellte Lehrer. Kraus: „Wenn ich Höckes Schulleiter wäre, würde ich den Mann zurückpfeifen.“

Höcke, der bundesweit dadurch bekannt wurde, dass er in der Talkshow von Günter Jauch eine Deutschland-Fahne auf der Armlehne seines Sessels drapierte, tritt regelmäßig bei Demonstrationen als Einpeitscher gegen die Flüchtlingspolitik auf. „Merkel muss weg“, pflegt er zu skandieren. „Frau Merkel, Sie sind eine Zumutung“, schreit er gerne. Unlängst erklärte er laut „Stern“ in einer Rede, dass Afrika eine andere „Reproduktionsstrategie“ als Europa verfolge – und verglich Afrikaner mit Insekten und anderen Tieren, die möglichst viele Nachkommen zeugen, damit wenigstens einige überleben. Auch soll er Christentum und Judentum als unversöhnlichen Gegensatz bezeichnet haben. Solche Tiraden gehen offenbar auch den Parteifreunden mittlerweile zu weit: „Der Bundesvorstand fordert Björn Höcke nachdrücklich auf, auch selbst zu prüfen, inwieweit seine Positionen sich noch in Übereinstimmung mit denen der AfD befinden.“

Was wäre, wenn Höcke demnächst wieder als Lehrer vor der Tür stünde? Darauf mag die Schulleiterin nicht antworten, sie verweist aufs zuständige Ministerium. Gegenüber dem „Stern“ macht sie aber deutlich, wie wenig die Kollegium und Schülerschaft mit den Thesen des AfD-Politikers anfangen kann. „Unsere Schüler haben in Eigeninitiative Spenden für Flüchtlinge aus Syrien gesammelt“, berichtet sie. Und „Die Kinder haben Crêpes gebacken und verkauft, einen Weihnachtsbasar mit selbst gebastelten Sachen veranstaltet und von dem eingenommenen Geld Geschenke gekauft für die Flüchtlingsfamilien, die neu zu uns in den Ort gezogen sind.“ Kaum vorstellbar, dass der Krawallmensch Höcke sich künftig an solchen sozialen Aktivitäten der Schule beteiligt.

Als Lehrer allerdings hat er sich politisch zurückgehalten. Fast immer jedenfalls. Als Höcke neu im Kollegium war, trat er laut Nachrichtensender N24 einmal öffentlich in Erscheinung – er schrieb einen Leserbrief an die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“. Darin ging es um die Vernichtung Dresdens durch alliierte Bomber kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. „In der Weltgeschichte sind niemals zuvor und niemals danach in so kurzer Zeit so viele Menschen vom Leben zum Tode befördert worden wie im ehemaligen Elbflorenz“, so schrieb er. Und: „Es ging darum, bis zum Kriegsende eine möglichst große Zahl deutscher Menschen … zu töten.“ Steile Thesen für einen Geschichtslehrer.

 

hna.de, 24.12.2015

Als erste Stadt Hessens kostenpflichtige Schulparkplätze: Kasseler Lehrer sollen ab 2016 fürs Parken zahlen

Kassel. Eigentlich sollten die etwa 900 Lehrerparkplätze an den Kasseler Schulen längst kostenpflichtig sein. Innerhalb des nächsten Jahres soll es nun soweit sein.

Die Kostenpflicht hatte die Stadt in ihrer Schutzschirmvereinbarung mit dem Land Hessen festgeschrieben, in der auch die zurückliegende Parkgebührenerhöhung begründet ist.

Nun solle das Vorhaben im Laufe des nächsten Jahres umgesetzt werden, so Axel Jäger, Leiter des städtischen Hochbauamtes. Damit werde Kassel die erste hessische Stadt, die auch Lehrer fürs Parken zur Kasse bittet.

Bundesweit gibt es Städte wie Duisburg, die das tun. Nach aktuellen Planungen sollen Lehrer und Schulbedienstete an den 56 städtischen Schulen 40 Euro monatlich fürs Parken auf dem Schulgelände bezahlen. „Dies war jahrzehntelang kostenfrei. Dabei zahlen andere Mitarbeiter der Stadt längst für ihren Parkplatz – zum Beispiel am Rathaus“, so Jäger. Auch dort seien 40 Euro fällig. Der Unterhalt der Stellflächen koste schließlich Geld.

Die Verzögerung des Vorhabens hängt nach Auskunft der Stadt damit zusammen, dass die Vorbereitungen komplex sind. So müsse die Zufahrt zu den Schulparkplätzen neu geregelt werden: In Frage kommen Schranken oder abschließbare Poller. „Die Situation ist an jeder Schule anders“, so Jäger. Auch sei offen, zu welchen Tageszeiten die Parkplätze nur für Bezahler zugänglich sind. Für Elternabende und Vereine, die die Schulturnhallen abends belegen, müssten sie frei nutzbar sein. Zudem ist noch nicht abschließend geklärt, ob für Schulparkplätze, die außerhalb der städtischen Parkgebührenzonen liegen, andere Tarife gelten. Angedacht war der halbe Preis: also 20 Euro. Im nächsten Schritt will die Stadt mit den Schulleitungen über die Umsetzung verhandeln. Viele Schulen hätten so wenige Parkplätze, dass das Gros der Beschäftigten auf öffentlichen Stellflächen stehen müsse, so Jäger. Auf 900 Parkplätze kommen in Kassel 2400 Lehrer.

 

op-online.de, 23.12.2015

Digitale Heldinnen helfen Mitschülern: Lotse und Anker im Datenstrom

 

LANGEN – Spätestens in der fünften Klasse gehören Handy oder Smartphone inzwischen praktisch zur Grundausstattung von Schülern. Eine Beobachtung, die jeder Lehrer bestätigen wird.

Weil viele Schüler sich der Auswirkungen ihres Tuns nicht bewusst sind und die Eltern zumeist keine Ahnung haben, was ihre Kinder so im Internet treiben, gibt es an der Dreieichschule seit einiger Zeit die Digitalen Heldinnen.

Die Zeiten sind rasant, die technischen Entwicklungen sind es erst recht – da sollte man auch die Gefahren kennen, die im weltweiten Netz beziehungsweise auf PC, Tablet oder Smartphone lauern. An diesem Punkt setzen die Digitalen Heldinnen der Dreieichschule an. Die acht Schülerinnen sind Teilnehmerinnen eines hessenweiten Projekts, das Schülern – insbesondere den jüngeren – die Fallstricke und Folgen der grenzenlosen Kommunikationsfreiheit aufzeigen will

Geleitet wird die AG am Gymnasium von Lehrerin Nadine Hoff. „Wir treffen uns einmal die Woche“, schildert Hoff. Für die Schüler, die wieder zu G9 zurückkehren, soll das Projekt in das Angebot des Wahlpflichtunterrichts integriert werden. „Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten und Ansprechpartner sein“, benennt die Lehrerin das Ziel des Projekts. Dafür bieten die Teilnehmer beispielsweise Sprechstunden während der Pausen an. „Die anderen Schüler können dann zu uns kommen und uns um Rat oder Hilfe fragen, zum Beispiel wenn sie im Internet gemobbt werden“, erklärt AG-Teilnehmerin Elisa Do. Nadine Hoff ergänzt: „Der Ansatz ist, dass die Hemmschwelle niedriger ist, einen Mitschüler anzusprechen statt eines Erwachsenen.“

Nach kurzer Zeit gab es tatsächlich schon Arbeit für die Digitalen Heldinnen. „Wenn jemand gemobbt wird, sprechen wir ihm Mut zu. Es ist wichtig, dem Betroffenen klar zu machen, dass er Freunde hat, die ihm helfen“, so Kopal Bhatnagar, die ebenfalls am Projekt teilnimmt. Ein weiterer wichtiger Hinweis sei: „Nachrichten und Ähnliches nicht löschen! Das ist häufig die erste Reaktion – aber nur mit Beweismitteln kann Mobbing später nachvollzogen und bewiesen werden.“ Manchmal müssten auch Lehrer, Eltern und sogar die Polizei, die ebenfalls mit dem Projekt kooperiert, informiert werden.

Auf großes Interesse in der Schülerschaft stieß vorige Woche die Pausenaktion „Wie sicher ist mein Passwort?“. Bei dieser Gelegenheit konnten Schüler mithilfe eines Computerprogramms testen, wie schnell ihr Passwort geknackt werden kann. „Das hat allen viel Spaß gemacht und gleichzeitig vor Augen geführt, wie unsicher viele Passwörter sind“, berichtet Elisa Do. Wer das Ganze selbst mal ausprobieren möchte, kann einfach auf der zugehörigen Internetseite (www.checkdeinpasswort.de) vorbeischauen, sein Passwort eingeben und sich anzeigen lassen, wie lange ein Programm brauchen würde, um dieses zu knacken.

Das Projekt der digitalen Helden wird unter anderem vom Hessischen Kultusministerium getragen. Die Inhalte liefern Medienpädagogen des Frankfurter Kommunikationsmuseums; den Teilnehmern stehen sie online auf Abruf zur Verfügung.

Auf die Idee zur Teilnahme am Projekt kam Nadine Hoff durch simple Beobachtung alltäglicher Szenen – „und das führt einem eben auch die Dringlichkeit der Aufklärungsarbeit vor Augen“. Ganz in diesem Sinne stehen die digitalen Heldinnen der Dreieichschule gerne als Ansprechpartnerinnen parat und helfen, wo sie gebraucht werden.

 

 

sueddeutsche.de, 23.12.2015

Haben Lehrer während der Ferien bezahlten Urlaub?

Viele Arbeitnehmer sind neidisch auf Lehrkräfte und ihre Ferien. Ein Gymnasiallehrer erzählt, was er in den Weichnachtsferien erledigen muss.

 

Die Frage:

Ich besuche die 10. Klasse eines Gymnasiums in Bayern und stelle mir kurz vor den Weihnachtsferien eine Frage zur Arbeitszeit der Lehrer. Mir ist schon klar, dass Lehrkräfte auch außerhalb der Unterrichtszeit arbeiten und das Klischee vom faulen Lehrer in den meisten Fällen nicht stimmt. Trotzdem würde ich gerne wissen: Werden Lehrer während der gesamten Schulferien bezahlt, haben sie also hier in Bayern etwa 15 Wochen pro Jahr bei vollem Gehalt weitgehend frei?

Die Antwort:

Der Spruch über Lehrer, die angeblich vormittags Recht und nachmittags frei haben, ist seit vielen Jahren ein running gag an Stammtischen bundesweit. Und dass diese Lehrer auch noch während der gesamten Schulferien ihr durchaus üppiges Gehalt beziehen, macht selbige Kommentatoren gleich noch wütender. Denn prinzipiell lautet die Antwort auf die Frage: Ja, Lehrer bekommen auch während der Schulferien ihr volles Gehalt ausbezahlt.

Vor dem Gesetz des Freistaats Bayern werden die verbeamteten Lehrer nicht anders behandelt als andere Beamte. „Für die staatlichen bayerischen Lehrkräfte gelten vom Grundsatz her die gleichen Arbeitszeitregelungen wie für alle anderen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und Beamten auch; allerdings ist ihr Urlaubsanspruch durch die Ferien abgegolten“, zitiert das Kultusministerium auf Anfrage den Paragraph 3 der Urlaubsverordnung.

Aber: Für Lehrer bedeutet unterrichtsfreie Zeit nicht zwingend dienstfreie Zeit. Wie Sie schon schreiben, leisten sie einen großen Teil ihrer Arbeit von zuhause aus. Wie das während der kommenden Weihnachtsferien exemplarisch aussieht, erklärt ein langjähriger Englisch- und Französischlehrer eines bayerischen Gymnasiums, der seinen Namen hier nicht lesen möchte:

„Dass ich in den kommenden beiden Wochen nicht in der Schule sein muss, heißt leider nicht, dass ich die Zeit entspannt auf der Couch verbringen könnte, ohne einen Gedanken an die Arbeit zu verschwenden. Für mich steht während der Ferien eine Menge Korrekturarbeit an, weil ich in den vergangenen anderthalb Wochen in zwei Klassen Schulaufgaben und in einer weiteren eine Stegreifaufgabe geschrieben habe – und diese Prüfungen sollen die Schüler natürlich möglichst in den Tagen nach den Ferien benotet zurückbekommen.

Bis ich eine Schulaufgabe ordentlich und transparent korrigiert habe, vergeht ungefähr eine Stunde. Auf meinem Schreibtisch liegen 26 unkorrigierte Englischschulaufgaben der 11. Klasse und 27 zu bearbeitende Schulaufgaben Französisch Klasse 9 – das macht etwa eine Korrekturzeit von 53 Stunden. Dazu kommt noch die Stegreifaufgabe, bei der 26 Schüler meiner 6. Klasse in Englisch mitgeschrieben haben. Da genügen etwa 15 Minuten Korrekturzeit pro Test, macht in Summe eine Arbeitszeit von mehr als sechs Stunden.

 

Leider waren bei meiner Englischschulaufgabe zwei Schüler krank, ich muss für sie also eine Nachholschulaufgabe erstellen. Dafür geht ein halber Tag drauf, ebenso für das Erstellen der Französischschulaufgabe, die ich in der Woche nach den Ferien in einer anderen Klasse schreiben werde. Spätestens am Tag vor Schulbeginn steht dann noch die Vorbereitung des regulären Unterrichts an. Langweilig wird mir während der Ferien also sicher nicht.“

Zu Korrektur und Unterrichtsvorbereitung kommen bei Lehrern während der Schulferien ab und an noch schulinterne Konferenzen und Fortbildungen, das Ministerium spricht von „außerunterrichtlichen Dienstpflichten“. Der Schulleiter legt hier fest, wann die Lehrer in den Ferien Dienst tun müssen und wann sie tatsächlich Freizeit haben. Die sollen sie laut Urlaubsverordnung mindestens im Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs von 30 Werktagen bekommen. „Wie sich dies über die Ferien verteilt, ist – abgesehen von dienstlichen Anordnungen der Schulleitung – den Lehrkräften selbst zu überlassen“, schreibt das bayerische Kultusministerium.

Zusammenfassend: Natürlich arbeiten nicht alle Lehrer so gewissenhaft wie derjenige, der hier Auskunft gegeben hat. Und natürlich gibt es auch in dieser Berufsgruppe Faulenzer, die sich entspannt auf ihrer Lebenszeitverbeamtung ausruhen. Pauschales Abtun der Lehrkäfte als wenig arbeitendes und dafür sehr ordentlich verdienendes Volk wird ihnen aber sicher nicht gerecht. Denn die Unterrichtsverpflichtung bayerischer Lehrkräfte – bei 23 Wochenstunden geht man von einer Vollzeitstelle aus – entspricht meist weniger als der Hälfte ihrer wirklichen Arbeitszeit.

 

focus.de, 27.12.2015

Hunderttausende Kinder zugewandert: Länder richten über 8000 Deutschklassen ein

 

Als Reaktion auf die Zuwanderung Hunderttausender schulpflichtiger Kinder haben die Bundesländer bisher mindestens 8264 spezielle Deutschlernklassen eingerichtet. Dies ergaben Recherchen der „Welt am Sonntag“ bei allen 16 Bundesländern. Rund 196.000 Schüler besuchen diese Klassen, in denen die deutsche Sprache gelehrt wird. Die tatsächliche Zahl von Flüchtlingen an den Schulen dürfte noch höher liegen, da sie nach dem Übergang in die Regelklassen nicht mehr gesondert erfasst werden. Rund 8500 Lehrer stellten die Länder zusätzlich ein, um die Situation zu bewältigen. Weitere Einstellungen könnten folgen.

„Für Schulen und Kultusverwaltungen hat es so eine Herausforderung noch nie gegeben. In dieser Situation müssen wir flexibel auf die sich ständig ändernden Bedingungen reagieren“, sagte die noch bis 1. Januar amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Sachsens Ressortchefin Brunhild Kurth (CDU) der Zeitung. Die Schulen stünden jedoch nicht vor dem Kollaps. Anlass für Pessimismus und Hysterie bestehe nicht. Aber: „Wir sollten akzeptieren, dass die Ausnahmesituation für eine lange Zeit Normalzustand sein wird.“

Die Länder stehen vor dem Problem, die weitere Entwicklung nicht absehen zu können. Verlässliche Prognosen, wie viele Flüchtlingskinder 2016 dazu kommen werden, kann niemand abgeben. Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes sieht darin das größte Risiko für das System. „Die zusätzlichen und für 2016 geplanten Lehrerstellen reichen nicht einmal für die bereits in Deutschland befindlichen Flüchtlingskinder“, sagt Heinz-Peter Meidinger. Gebraucht würden 20.000 und nicht nur 8500 zusätzliche Lehrkräfte. „Spätestens im Sommer nächsten Jahres wird sich diese Lücke schmerzhaft bemerkbar machen.“ Die KMK bilanziert die Zahl der schulpflichtigen Kinder in 2015 mit rund 325.000.

 

 

stern.de, 27.12.2015

Skandal an US-Schule: Gefeuert wegen Mitleid – Essen an hungriges Kind verschenkt

Dalene Bowden hat einem hungrigen Kind ohne Bezahlung ein Essen gegeben. Dafür wurde die Küchenfrau gefeuert und angezeigt. Dank einer Internet-Kampagne kann sie nun ihren Job zurückbekommen.

Dalene Bowden arbeitet in der Essenausgabe der Irving Middle School in den USA. Vor Weihnachten stand ein 12-jähriges Mädchen in der Schlange. Das Kind hatte Hunger, aber kein Geld dabei. Darauf gab Bowden ihr aus Mitleid ein Essen im Wert von 1,70 Dollar.

Dabei wurde sie beobachtet und zur Rede gestellt.  Zwar bot sie an, das Essen aus eigener Tasche zu bezahlen, aber das war zu spät. „Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, aber was soll man machen, wenn die Kinder hungrig sind und kein Geld haben,“ sagte sie dem „Idaho Statesman“. Zumal Bowden schon einmal eine Verwarnung bekommen hatte, weil sie einem Kind einen Keks zugesteckt hatte.

Doch der Leitung des Schuldistriktes ging es ums Prinzip: Die Frau wurde gefeuert und damit nicht genug. Sie wurde auch noch vom Schul Distrikt  Pocatello/Chubbuck in Idaho wegen Diebstahls angezeigt. Trotz eines landesweiten Aufschreis sah der Distrikt sich im Recht und startete eine beleidigende  Kampagne. Unter anderem wurde lanciert, dass Frau Bowden bei einem früheren Job reguläre Einnahmen in das Trinkgeldschälchen gepackt habe. Die gutherzige Frau sollte zur Gewohnheitskriminellen gestempelt werden.

Doch damit hatte der Bezirk den Bogen wohl überspannt. Eine Kampagne mit dem Ziel, Bowden wieder einzustellen, gewann 80.000 Unterstützer. Vermögende Amerikaner spendeten Geld für die Küchenhilfe, denn Bowden fasste sich ein Herz und sammelte Geld für einen Anwalt auf der Crowdfunding-PlattformGoFundMe. „Ich entschuldige mich nicht und ich würde genau das Gleiche wieder tun“, schrieb sie in ihrem Aufruf. „Ich liebe meinen Job. Aber es bricht mir das Herz, wenn die Kinder hungrig sind.“

Besonders perfide: Nicht verkauftes Essen darf nicht anderweitig verwendet werden. Es wird vor den Augen der Kinder, die sich kein Essen leisten können, weggeworfen. Diese Methode hat schon häufiger zu Problemen geführt. Erst vor kurzem wurde eine Küchenchefin in Colorado gefeuert, weil sie überzählige Essen nicht wegwarf, sondern an die Armen verteilte.

Zu Weihnachten knickte der Bezirk ein und bot an, dass Dalene Bowden weiter arbeiten könne. Aber sie traut dem Angebot nicht und glaubt, dass der Arbeitgeber nur den Shitstorm beenden wolle, aber den Fehler im System immer noch nicht erkenne. „Ich muss darüber nachdenken. Ich habe Angst, dass sie mir das Leben zur Hölle machen, mir Fallen stellen, um mich später irgendwie loszuwerden.“  Außerdem bleibt ein Problem: Bowden will auch in Zukunft keine hungrigen Kinder abweisen.

 

Auszug fnp.de, 28.12.2015

Interview mit Prof. Manfred Pohl: „Wir brauchen Gebietsreformen“

 

Die Geschichte ist sein Fachgebiet, doch genauso stark liegt sein Augenmerk auf der Zukunft. Deshalb hat der Frankfurter Professor Manfred Pohl im Jahr 2008 den Frankfurter Zukunftsrat ins Leben gerufen. Im Gespräch mit FNP-Redakteur Thomas Remlein schaut er auf das kommende Jahr, ärgert sich über zaghafte Politiker im Rhein-Main-Gebiet und wünscht sich radikale Reformen an den Schulen.

 

 

Meinen Sie damit, dass zu wenig Investitionen in die Infrastruktur fließen?

POHL: Das ist das eine. Aber es gibt zwei große Gebiete, die unterschätzt werden. Es wird zu wenig in die Bildung investiert. Das duale Bildungssystem, wie wir es haben, ist längst überholt. Wir haben in der Mitte das Gymnasium als tragende Säule. . .

. . . Ja. In Frankfurt besuchen über 50 Prozent der Kinder das Gymnasium. . .

POHL: Ja. Das Gymnasium ist einer der Killerfaktoren für unsere Zukunft. Wir müssen als erstes das Gymnasium abschaffen. Und dann das Gymnasium ersetzen durch ein duales Bildungssystem, das von sechs Jahren bis 16 Jahren geht, in dem man Universalkompetenz lernt und gleichzeitig die Fähigkeiten für ein zukunftsfähiges Berufsleben ausloten kann. Die meisten gehen nach dem Gymnasium an die Universität und studieren, was Mama und Papa gesagt haben, und 40 Prozent verlassen nach den ersten drei Semestern wieder die Universität.

Schwebt Ihnen da so eine Art polytechnische Oberschule vor, wie es sie in der DDR gab? Das war eine praxisorientierte Schulausbildung.

POHL: Eine praxisorientierte Ausbildung, wie sie Herrn Ehinger von der Handwerkskammer und Herrn Müller von der IHK entgegenkommt. Mit 16 müssen sich die jungen Leuten entscheiden können, ob sie einen technisch-handwerklichen Tätigkeitsbereich anstreben oder einen universitären. Das ist unsere Zukunft und das ist das echte duale System. Wir leben auch in der Bildung von der Substanz. Das Gymnasium ist längst überholt. Nicht alles in der DDR war schlecht. Gerade im Bildungssystem hätten wir einige Sachen übernehmen können.

 

 

deutschlandradiokultur.de, 28.12.2015

KULTUSMINISTERKONFERENZ: Auf dem Weg zum digitalen Bildungssystem

 

Die Bremer Senatorin Claudia Bodegan ist vom 1. Januar 2016 neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz. Sie will die digitale Bildung vorantreiben. Keine leichte Aufgabe: Bisher haben die Bundesländer ganz unterschiedliche Auffassungen von Medienkompetenz.

In Studien zum Thema klassischer Schulbildung hat das kleine Bundesland Bremen bislang nie besonders gut abgeschnitten. Die rote Laterne bei fast allen Pisa-Tests leuchtete die Bildungsmisere im Nordwesten immer ganz gut aus.

Anders ist es beim Thema digitale Bildung:  Beim Länderindikator Schule digital der Telekom-Stiftung liegt Bremen an der Spitze: 70% der befragten Bremer Lehrkräfte gaben an, dass die Schule über ein Medienkonzept für den Einsatz des Computers im Unterricht verfügt. Der Anteil der Lehrkräfte, die gemeinsam mit Kollegen computergestützte Unterrichtsstunden entwickeln, ist in Bremen mit ca. 50% besonders hoch.

Und in Bremen gilt, dass Schulen nicht mit PCs ausgestattet werden, wenn kein Nutzungskonzept vorliegt – das mag daran liegen, dass das Bundesland genauso klein wie arm ist und deshalb nicht verschwenderisch mit Mitteln umgehen kann. Das hat die Bremer Bildungssenatorin Claudia Bogedan, seit Mitte 2015 im Amt, schnell gelernt

„Wir haben in Bremen ein Bundesland mit besonderen sozialen Lagen. Das führt an vielen Stellen dazu, dass wir an Schulen immer mehr leisten müssen als das in anderen Bundesländern vielleicht auch der Fall ist – um auch ein Stück weit Reparaturbetrieb zu sein für bestimmte soziale Schieflage. Und das ist das, was uns an zweiter Stelle auch herausgefordert hat zu sagen ‚Es geht auch ganz massiv um Bildungsgerechtigkeit, die hergestellt werden soll.'“

Im nächsten Jahr ist sie die Chefin der Kultusminsterkonferenz (KMK). Sie will die digitale Bildung in den Mittelpunkt stellen.

„Das Vorhandensein von Geräten und die Dauer oder die Nutzungslänge sagt erstmal gar nichts darüber aus, ob man dabei auch irgendwelche Kompetenzen  erwirbt.

Was also wollen wir erreichen?  Wird der Unterricht besser, wenn digitale Medien benutzt werden? Werden die Kinder schlauer? International konkurrenzfähiger?

In Australien zum Beispiel nutzten schon  85 Prozent der Viertklässler regelmäßig den Computer im Unterricht, in Deutschland sind es nur 28 Prozent. Auch deswegen hat  sich Bodegan für ihren KMK-Vorsitz im kommenden Jahr vorgenommen, die digitale Bildung in den Mittelpunkt zu stellen

„Es geht ja darum, dass wir uns darüber verständigen müssen, welche Kompetenzen wir eigentlich erreichen wollen bei dem Umgang mit digitalen Medien.

 

Denn was Medienkompetenz genau ist, was zur digitalen Bildung überhaupt gehört, dazu hat jedes Bundesland, ja beinahe jede Kommune eine eigene Auffassung.  Grundsätzlich gilt: Alles, was lernen befördert, soll genutzt werden.

Auf der anderen Seite hat die jüngste OECD Studie auch festgestellt: Allein der Einsatz von digitalen Medien in der Schule erzielt noch  keine positiven Lerneffekte – im Gegenteil. Wenn ein schlechter Lehrer versucht, seinen Unterricht mit dem Einsatz digitaler Medien aufzuwerten, wird er nicht besser – wenn ein guter Lehrer das macht, hingegen schon.  Was ist die Antwort`? Lehrerfortbildung?  Neue Curricula  – den Fragen will sich die Bremer Bildungssenatorin Bogedan im nächsten Jahr stellen-

„Das ist ja auch die klassische Aufgabe in der KM: Eben die Kompetenzbilder zwischen den Ländern zu vereinheitlichen bzw. anzupassen. Und über eine gemeinsame Verständigung dann auch dahin zu kommen, sich zu verständigen, was das bezüglich der Infrastruktur heißt.“

 

Das heißt nämlich auch ganz banal: Bund und Länder müssen mehr aufs Gas treten, wenn es um die Versorgung mit schnellem Internet geht, meint Bodegan:

„Vom Breitbandausbau beispielsweise können die Schulen auch nur dann profitieren, wenn sie überhaupt erstmal ans Netz angeschlossen werden.“

Das wäre der erste Schritt: Denn alle Konzepte nützen nichts, wenn sie nicht in die Praxis umgesetzt werden können.

 

 

aerztezeitung.de, 29.12.2015

Schlafforschung: Ausgeschlafene Schüler sind nicht besser

Wenn Jugendliche sich die Nacht um die Ohren hauen und nur wenig schlafen, wirkt sich das kaum negativ auf ihr Gedächtnis und die schulischen Leistungen aus – vorausgesetzt das geht nicht über einen längeren Zeitraum. Ganz harmlos ist zu wenig Schlaf aber nicht.

MAINZ. Wenn ausreichend Schlaf für die Gedächtniskonsolidierung sehr wichtig ist, dann müsste ein Schlafmangel die schulischen Leistungen von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen. Doch dies ist kaum der Fall.

Anscheinend können Schüler zumindest kurzfristige Schlafdefizite gut kompensieren. Darauf deuten Untersuchungen, die Professor Christoph Nissen von der Universität Freiburg auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin (DGSM) in Mainz vorgestellt hat.

Nissen wies darauf hin, dass es bei Jugendlichen natürlicherweise zu einer Umstellung im Schlaf-Wach-Rhythmus kommt.

Der Nucleus suprachiasmaticus, der zirkadiane Haupttaktgeber, sorgt in diesem Alter für eine Spätpräferenz: Jugendliche gehen abends spät ins Bett und schlafen dafür morgens lange.

Dies ist jedoch nicht unbedingt mit den schulischen Anforderungen kompatibel, die eine frühe Präsenz erfordern. Als Konsequenz, so Nissen, verzichten Jugendliche unter der Woche auf Schlaf.

Untersuchungen in Freiburg hatten ergeben, dass Jugendliche unter der Woche etwa eine halbe Stunde weniger schlafen als notwendig wäre, dafür am Wochenende eine Stunde mehr als empfohlen.

Rein rechnerisch bleibt dennoch ein Defizit, und dies könnte mitunter Folgen für die schulischen Leistungen haben.

Forscher um Nissen prüften das in einem Experiment mit 16-jährigen Gymnasiasten. Diese wurden in fünf Gruppen eingeteilt: Die einen durften bis zu neun Stunden täglich schlafen, die anderen über vier Nächte hinweg nur jeweils acht, sieben, sechs und fünf Stunden.

Die Schlafdauer wurde per Aktimeter kontrolliert, ferner mussten die Eltern ihren Nachwuchs rechtzeitig wecken. Dies schien ganz gut zu klappen.

Anschließend absolvierten die Jugendlichen Gedächtnistests wie Spiegelzeichnen und Wortpaare lernen. Dabei zeigten sich zwischen den einzelnen Gruppen keine nennenswerten Unterschiede.

Interessanterweise deuteten die Aktimeterdaten auf vergleichbare Tiefschlafzeiten in allen fünf Gruppen. Der Schlafmangel ging also primär auf Kosten des REM-Schlafs, während die Tiefschlafdauer konstant gehalten wurde. Das mag die fehlenden Effekte auf das Gedächtnis erklären.

Bei kurzfristigen Schlafdefiziten sind danach kaum negative Auswirkungen zu befürchten. Der Freiburger Schlafforscher räumte jedoch ein, bei anhaltendem oder chronischem Schlafmangel könne die Situation eine andere sein.

So haben nach den Ergebnissen der Kölner Kinderschlafstudie etwa zehn Prozent der Schüler chronische Schlafstörungen.

In einer großen schwedischen Untersuchung hatten solche Kinder doppelt so häufig wie andere ungenügende Leistungen in mindestens einem Schulfach.

Allerdings kann der Zusammenhang hier auch ein anderer sein: Möglicherweise schlafen Kinder aufgrund ihrer mangelhaften Schulleistungen schlecht, oder es stecken hinter beiden Problemen andere Ursachen.

Selbst wenn Schlafdefizite das Gedächtnis und die schulischen Leistungen kaum beeinträchtigen, ganz harmlos sind sie offenbar nicht.

Darauf deuten US-amerikanische Untersuchungen zur Emotionsregulation. Wissenschaftler aus Pittsburgh hatten eine verstärkte Aktivierung des Belohnungssystems in Tests bei schlafdeprivierten Jugendlichen festgestellt.

Dies könnte die jungen Menschen zu einem riskanteren Verhalten verleiten sowie die Gefahr des Alkohol- und Drogenmissbrauchs erhöhen, sagte Nissen.

Er empfahl daher, auf ähnliche schlafhygienische Maßnahmen wie bei Erwachsenen zu achten, also möglichst keine koffeinhaltigen Getränke am Abend, regelmäßige körperliche Aktivität und Lichtexposition tagsüber. Eine weitere Empfehlung: keinen Schlaf am Mittag oder vor dem Fernseher.

 

 

Volksstimme, 30.12.2015

FLÜCHTLINGE: Jürgen Mannke plant ein Buch zum Skandal

 

Magdeburg l Der umstrittene Weißenfelser Gymnasialdirektor Jürgen Mannke will ein Buch über die Integration von Ausländern schreiben. Dafür werde er die 3000 Briefe und E-Mails auswerten, die er in den vergangenen Wochen erhalten habe, kündigte er am Dienstag an.

Mannke hatte als Landeschef der Gymnasiallehrer-Vertretung Philologenverband bundesweit Empörung und Zustimmung ausgelöst. In einem Leitartikel warnte er Anfang November vor den sexuellen Bedürfnissen „junger, oft auch ungebildeter“ muslimischer Einwanderer. Gefährdet seien „unsere jungen Mädchen im Alter ab zwölf Jahren“. Nach heftiger Kritik aus der Politik, aber auch aus dem Philologenverband selbst trat Mannke am 4. Dezember zurück. Seine Co-Autorin, Vize-Vorsitzende Iris Seltmann-Kuke, ist hingegen weiterhin im Amt.

Er bedaure, dass er Einwanderer pauschalisierend als Gefahr für junge Mädchen dargestellt habe, sagte Mannke der Volksstimme. Auch die Formulierung „Immigranteninvasion“ sei ein Fehler gewesen, „totaler Blödsinn, darüber ärgere ich mich selbst“. Zum zweiten Teil des Textes, einer Warnung vor Parallelgesellschaften, stehe er weiterhin.

Integration könne nur gelingen, wenn Flüchtlinge nicht abgeschottet lebten, sondern unter Deutschen untergebracht würden. „Dazu habe ich auch von integrierten Ausländern viele interessante Dinge erfahren, vor allem von Frauen“, sagte Mannke. Gleichzeitig müssten die Neuankömmlinge die deutschen Werte respektieren. Das geplante Buch soll nach Möglichkeit im März erscheinen.

Gebrochen hat der Pädagoge mit einstigen Mitstreitern aus dem Philologenverband. Eine Mehrheit im Landesvorstand habe versucht, ihn hinterrücks aus dem Amt zu drängen. „Am 7. November haben Frau Seltmann-Kuke und ich intern unseren Rücktritt angeboten. Das hat der Vorstand einstimmig abgelehnt. Aber wenige Tage später haben sich fünf Vorstandsmitglieder heimlich getroffen und mir anschließend den Rücktritt nahegelegt. Das hat mir richtig wehgetan.“

Mannke hat den Verband mittlerweile verlassen. Dieser agiert derzeit ohne Vorsitzenden, Ende des nächsten Jahres soll eine Neuwahl erfolgen.

Politisch will sich Mannke auch weiterhin in der CDU engagieren. Dort fühle er sich zu Hause – nicht in der AfD, die ihm zu seinem Beitrag gratuliert hatte. Mannke ist seit vielen Jahren CDU-Mitglied und berät die Partei in Schulfragen. Zwar habe er auch von Ministerpräsident Reiner Haseloff Gegenwind bekommen, „aber das war eine ordentliche Streitkultur“.

 

 

Deutsche Welle, 30.12.2015

NS-DIKTATUR: Hitlers Hetzschrift im Lehrplan?

 

Adolf Hitlers „Mein Kampf“ als Lektüre in der Oberstufe? Ja, sagt Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, im DW-Interview. Und zwar zur Immunisierung Jugendlicher gegen Extremismus.

Seit 1945 wird „Mein Kampf“ in Deutschland nicht mehr herausgegeben. 2016 jedoch laufen die Urheberrechte aus, mit denen in Deutschland bislang ein Nachdruck verhindert wurde. Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München plant derzeit eine kommentierte Ausgabe des Werkes, in dem Hitler die Ideologie der Nazis darstellt und seinen Judenhass ausbreitet.

DW: Herr Kraus, warum sollten Schüler „Mein Kampf“ lesen?

Josef Kraus: Ich bin nicht der Meinung, dass das ganze Werk, dieses Pamphlet „Mein Kampf“, in der Schule gelesen werden soll. Sondern ich habe vorgeschlagen, dass in der Oberstufe des Gymnasiums und in den Oberstufen der Beruflichen Schulen Auszüge daraus gelesen werden. Ich verspreche mir dabei folgenden Effekt: dass man nämlich die jungen Leute immunisieren kann, widerstandsfähig machen kann gegen extremistische Auffassungen, wenn man ihnen zeigt, wie sich die Katastrophe und die Massenmorde, die wir in den zwölf Jahren deutscher Geschichte 1933-1945 hatten, ideologisch vorbereiten. Man kann auf diese Art und Weise dem Prinzip „Wehret den Anfängen“ gerecht werden. Leider ist es so, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern einige nicht ungefährliche Wirrköpfe haben, die mobilisieren möchten gegen Ethnien, gegen Religionen.

Denken Sie nicht, dass 16-jährige Schüler immer noch sehr beeinflussbar sind und dass das Lesen von „Mein Kampf“ einen falschen Effekt haben könnte?

Das ist eine Frage der Professionalität und des pädagogischen Geschicks der Lehrer. Und das traue ich unseren Lehrern, insbesondere in den Fächern Geschichte und Politik sowie Ethik und Religion schon zu. Man muss das Thema natürlich sensibel angehen. Wir haben zurecht das Thema Nationalsozialismus als einen Kernbestand unseres Geschichtsunterrichts. Und ich würde mir auch wünschen, dass jeder Schulabgänger in Deutschland, also jeder 16-, 17- oder 18-jährige, der die Schule verlässt, vorher einmal mit der Schule – entsprechend vorbereitet und entsprechend besprochen – ein Konzentrationslager besucht. Man sollte den Vorschlag, Auszüge aus „Mein Kampf“ zu besprechen, jetzt auch nicht überdimensioniert sehen. Ich stelle mir vor, dass man sich anhand von zwei, drei oder vier Textauszügen einmal zwei oder drei Stunden lang in der Schule damit beschäftigt – eingebettet in einer differenzierten Betrachtung des ganzen Phänomens Nationalsozialismus.

Welche Auszüge des Buchs schweben Ihnen dabei vor?

Das Buch selbst wird ja wohl, wie ich gehört habe, erst einmal nur in einer Auflage von viertausend Exemplaren herauskommen und auch zu einem hohen Preis von 60 Euro. Ich empfehle den 16 Kultusministern, dass sie einen kleinen Reader in Auftrag geben, wo auf 50, 60, 80 Seiten markante Textstellen mit entsprechenden Kommentierungen, mit Quellenangaben, mit Querverweisen zusammengenommen werden. Das wäre für die Schulen sehr, sehr hilfreich. Insbesondere würde ich mir Textestellen wünschen, in denen der Hass gegen die Juden zum Ausdruck kommt und in denen zum Ausdruck kommt, dass Hitler offensichtlich einen großen Krieg im Kopf hatte.

Wäre das nicht gefährlich, besonders, wo momentan Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Deutschland erstarken?

Viel gefährlicher wäre es, wenn man dieses Werk einfach totschweigt oder gar verbietet. Denn heutzutage haben wir durch die Möglichkeiten des Internets für jeden alles zugänglich. Und da ist es mir wichtiger, dass so etwas in der Schule differenziert und kritisch besprochen wird. Denn eines wissen wir auch von vielen verbotenen Schriften, zum Beispiel, wenn sie als jugendgefährdend von der Bundesprüfstelle indiziert sind: Was verboten ist, schafft besondere Neugier, und dann hat man keine Einfluss mehr darauf.

Und die ungefähr 100.000 Juden in Deutschland? Müssten sie sich nicht beleidigt fühlen?

Ich kenne viele Juden, darunter den amtierenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, die sich diese Behandlung vorstellen könnten. Die frühere Vorsitzende Frau Knoblauch hat sich dagegen ausgesprochen, es haben sich andere für meinen Vorschlag ausgesprochen. Das kann man unterschiedlich diskutieren. Entscheidend ist, wie man es dann umsetzt. Ich glaube, es ist sehr im Interesse auch unserer jüdischen Mitbürger, dass man mit diesem Teil der deutschen Geschichte ganz authentisch umgeht. Und das hat nichts mit Propaganda zu tun, nichts mit Nostalgie. Sondern es hat damit zu tun, unsere jungen Leute zu immunisieren gegen extremistische Auffassungen. Und selbstverständlich wünsche ich mir auch, dass die jüdischen Mitbürger daran mitwirken, in welcher der Art und Weise wir das in den Schulen behandeln. Und selbstverständlich wünsche ich mir auch, dass beispielweise jüdische Mitbürger dann in entsprechende Unterrichtstunden eingeladen werden.

 

Josef Kraus ist seit 1987 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Dieser vertritt nach eigenen Angaben rund 160.000 Lehrer in Deutschland.

Das Gespräch führte Kate Brady.

 

rga.de, 30.12.2015

Mobbing ist nicht nur an Schulen ein wichtiges und großes Thema

 

Häufig werden einzelne Personen von anderen ausgegrenzt. Doch was bedeutet Mobbing überhaupt und was kann man dagegen machen?

Unter Mobbing versteht man eine gezielte Unterdrückung oder Verachtung einer anderen Person. Dies wird nicht nur mit physischer Gewalt ausgedrückt, sondern kann auch mit Worten verursacht werden. Das wird auch in zahlreichen Medienberichten deutlich.

1963 bemerkte Konrad Lorenz ähnliches Verhalten bei Gänsen. Er beobachtete, wie sich mehrere Gänse gegenüber anderen Tieren aus der Gruppe überlegen fühlten und diese immer wieder angriffen oder ausstießen.

Gerade in der Schule und am Arbeitsplatz häuft sich die Situation. Immer mehr Kinder werden in ihren Klassen gemobbt. Laut einer Studie der Süddeutschen Zeitung wird durchschnittlich eins von fünfundzwanzig Kindern schikaniert. Das sind in Deutschland knapp eine halbe Million Mobbing-Opfer an Schulen. Doch wer davon ausgeht, dass in Hauptschulen mehr Kinder gemobbt werden, liegt weit daneben. Denn auch an Gymnasien oder Realschulen werden Vorfälle gemeldet. Die betroffenen Kinder werden zu Opfern, meistens von einer Gruppe aus dem nähren Umfeld.

„Mobbing wird in unserer Gesellschaft unterschätzt. Gerade bei den Lehrkräften herrscht eine zunehmende Inkompetenz gegenüber solchen Fällen in Klassen. Sie sind nicht für solche Fälle ausgebildet“, sagte Mechthild Schäfer gegenüber der Welt. Die Mobbing-Expertin der Ludwig-Maximilian-Universität in München ist der Meinung, dass es in fast jeder Klasse in Deutschland Mobbing gibt.

Doch was kann man als Betroffener tun? Eine gute Lösung ist es mit einem Lehrer zu reden. Auch wenn sie nicht extra ausgebildet sind, haben sie meistens einen höheren Einfluss auf die „Täter“.

 

 

Salzburger Nachrichten, 31.12.2015

Die bildungsfernen Kinder hätten ihre Chance in der Volksschule

 

Zwischen fünf und zehn, in der Volksschule, könnten Kinder aus bildungsfernen Haushalten alle Defizite aufholen. Könnten.

Der Jahreswechsel steht im Zeichen des Angriffs auf das Gymnasium. Sozialisten und Grüne sind wild entschlossen, ihre Träume von der Gesamtschule zu verwirklichen. Die ÖVP wehrt sich zwar tapfer, hat aber in den eigenen Reihen auch Eifrige, die dem Missverständnis „Gesamtschule“ aufsitzen.

Dabei ist das Motiv der Kämpfer für eine gemeinsame Schule aller Zehn- bis Vierzehnjährigen ohne Einschränkung zu unterstützen: Man will, dass die Kinder aus bildungsfernen Schichten nicht benachteiligt werden, dass nicht der Haushalt, in dem man aufwächst, über das weitere Leben entscheidet.

Mit der geplanten Gesamtschule wird nur erreicht, dass das Niveau aller zehn- bis vierzehnjährigen Kinder gedrückt wird und die Vermögenden ihre Sprösslinge in Privatschulen einschreiben.

Wenn Eltern bei jeder Gelegenheit über Literatur, Musik oder Politik sprechen, wenn die Großmütter beim Spaziergang mit den Kleinen das Lesen der Plakate üben, wenn der Theaterbesuch schon knapp nach den ersten Geherfolgen zum Alltag gehört, wird der Nachwuchs kein Problem haben, mit zehn in ein Gymnasium zu wechseln.

Geschieht all das zu Hause nicht, gelten Bücher als überflüssig, ist das Vokabular der erwachsenen Familienmitglieder eingeschränkt oder gar vulgär, so bleiben den Kindern die elementaren Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen fremd. Und das jedenfalls bis zum Eintritt in die Volksschule, aber zumeist auch bis zum zehnten Lebensjahr.

In diesem Zustand sollen sie dann neben ihren AHS-reifen Altersgenossen in der Gesamtschule sitzen und wie durch ein Wunder ihre Defizite aufholen!

Kinder sind unglaublich lernfähig. Schon die Kleinsten sind bewundernswert. Zwischen dem fünften und dem zehnten Lebensjahr öffnet sich die Welt. In dieser Phase kann man sie alle, ausnahmslos alle abholen, weil ihre Neugier grenzenlos ist. Da wird es kaum einen und kaum eine geben, die nicht die viel zitierten Kulturtechniken problemlos erlernen.

Die Realität: Das System zwingt die grandiosen Volksschullehrer, ihre begnadeten Fähigkeiten nicht zu nutzen und genau das nicht zu tun, wovon die Gesamtschulträumer sprechen – nämlich die Defizite der Benachteiligten zu beseitigen. Man schränkt die Volksschule zu einem verlängerten Kindergarten ein. Und zahlreiche Eltern sabotieren sogar die bescheidenen Anforderungen! Die Putzis sind ja noch so klein, die sollen spielen!

Aber mit zehn werden sie dann plötzlich alles können. Pardon, nein, durch die Gesamtschule zu Bildungsbürgern verzaubert werden.

 

 

 

 

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