Der VDL Hessen fordert: mehr Zeit für Pädagogik anstatt für Bürokratie. Warum? Weil die Aufgaben, die es mittlerweile zusätzlich zur Vor- und Nachbereitung von Unterricht gibt, deutlich gestiegen sind, nicht aber die Deputate für besondere Aufgaben.
Immer wieder liest man in den Online- und Printmedien von einer gestiegenen Arbeitsbelastung im Schuldienst. Schulleiter dokumentieren, warum sie höhere Leitungsdeputate benötigen. Lehrkräfte schreiben Überlastungsanzeigen und weisen auf deutlich veränderte Arbeitsbedingungen hin.
Woher kommen die Mehrbelastungen?
Durch die stetig steigende Heterogenität der Lerngruppen und die zeitgleich geforderte individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen im Hessischen Schulsystem hat sich das Arbeitsfeld aller Lehrkräftegruppen verändert. Neben der reinen Vermittlung von Lerninhalten liegt heute ein Hauptaugenmerk auf der inklusiven und integrierenden pädagogischen Arbeit. In der letzten Ausgabe der „VDL informiert“ haben wir bereits die Belastungen der Grundschullehrkräfte näher beleuchtet und die damit verbundene Forderung nach einer Anhebung der Besoldung. Sicherlich kann man die Aufgaben der übrigen Lehrämter nicht 1:1 mit denen einer Grundschullehrkraft vergleichen, aber unter dem Strich sind die Arbeitsbedingungen in allen Schulformen ähnlich: mehr zu tun und dafür weniger Zeit. Oder aber, man beweist als Lehrkraft Mut zur Lücke und macht Abstriche bei der eigenen Arbeit.
Arbeitszeit reduzieren? Oder Abstriche machen?
Heute stehen viele Lehrkräfte vor der Fragestellung, ob sie Stunden reduzieren oder ihre Arbeit nur noch in abgespeckter Form machen, damit sie den Alltag bewältigen können, ohne direkt ins Burnout zu steuern. Aber kann es im Sinne des Erfinders sein, dass Arbeitszeiten oder die Ansprüche an die eigene Arbeit heruntergeschraubt werden? Ein klares und entschiedenes NEIN. Erst kürzlich berichtete eine Kollegin, dass sie miterleben durfte, wie einer Lehrkraft von einem Schulleitungsmitglied empfohlen bekam, die Stundenzahl abzusenken, damit sie all ihren Aufgaben gerecht werden kann. Wie absurd kann es sein, dass man finanzielle Einbußen auf sich nehmen soll, nur um mit der Überfrachtung durch neue oder zusätzliche Tätigkeiten gerecht zu werden?
Aus der Praxis berichten in dieser Ausgabe – wohlbemerkt: kontrovers – vier Lehrerinnen aus ihrem Arbeitsalltag und wie sie zur Thematik „Bürokratie frisst Pädagogik“ stehen.
Durch die Interviews führte Kerstin Jonas.
5 Fragen an Frau Maximiliane Mustermann
Frau Mustermann blickt auf mehr als zwei Jahrzehnte im Schuldienst zurück und ist auch schon lange ein Mitglied im VDL Hessen.
Weil ihre Erfahrungen aber sehr persönlich und emotional sind, möchte Frau Mustermann lieber anonym bleiben. Der Name wurde durch die Redaktion geändert.
Kerstin Jonas: „Liebe Frau Mustermann, Sie blicken mittlerweile auf ein paar Jahre Schuldienst zurück. Und ich habe den Eindruck, dass das Thema „Bürokratie frisst Pädagogik“ Sie sehr beschäftigt. Wie macht sich die gestiegene Arbeitsbelastung durch Bürokratie denn bei Ihnen bemerkbar?“
Frau Mustermann: „Immer wenn ich glaube, in einem ruhigen Fahrwasser angekommen zu sein, kommt eine neue Veränderung im Schulalltag auf mich zu. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie viele Verordnungs- und Lehrplanänderungen es in den letzten Jahren und Jahrzehnten gegeben hat und die für das Schulpersonal einen Rattenschwanz an Arbeit nach sich gezogen haben. Förderpläne, Stoffverteilungspläne, neue Rechtschreiblehrgänge, Schulungen zum Umgang mit Teilleistungsstörungen, Nachteilsausgleiche usw. Das hat auch alles mit meiner Arbeit als Lehrkraft zu tun und ist notwendig. Aber die Gespräche, die ich noch zusätzlich zu meinem alltäglichen Dienst führe, sprengen teilweise den zeitlichen Rahmen. Zumal diese dann auch noch dokumentiert werden müssen, damit ich belegen kann, wann und wo und mit wem ich sie geführt habe. Man bereitet sich quasi ständig darauf vor, dass Eltern den Versuch unternehmen könnten, Lehrkräfte juristisch angreifbar zu machen. Ich fühle mich und meine Arbeit stetig auf dem Prüfstand.“
Kerstin Jonas: „Was genau sprengt denn Ihren üblichen Zeitrahmen für Vor- und Nachbereitung von Unterricht am meisten?“
Frau Mustermann: „Im Alltag kommen immer wieder Konflikte mit Schülerinnen und Schülern oder auch Eltern auf mich zu, die selbstverständlich bearbeitet werden müssen. Manchmal aber in einer solchen Tragweite, dass sie mich über den Schultag hinaus sehr beschäftigen und auch lähmen, sodass die Konzentration auf Vor- und Nachbereitung nicht vorhanden ist. Ich habe das Gefühl, dass immer mehr Schulfremde – meistens Eltern – sich massiv in schulische Belange einmischen und dadurch mehr Wirbel als Klarheit verursachen. Nicht selten erlebe ich es, dass mir über Dritte zugetragen wird, dass Eltern Probleme mit meiner Art zu Unterrichten haben. Wenn ich den Eltern dann die Möglichkeit gebe, mit mir ein Gespräch zu führen, ist dann aber plötzlich kein Gesprächsbedarf mehr da. Solche atmosphärischen Spannungen erleichtern das Miteinander nicht unbedingt.“
Kerstin Jonas: „Welche Aufgaben sind denn zu den normalen Tätigkeiten einer Lehrkraft im Vergleich zu den letzten Jahren dazu gekommen?“
Frau Mustermann: „Elternbriefe z.B. gab es immer schon. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die noch besser überlegt und formuliert werden müssen als bisher. Und ich muss häufiger Elternbriefe schreiben als früher, weil ich mit Eltern Vereinbarungen schriftlich fixieren muss, die früher selbstverständlich waren. Heute muss ich aber immer darauf gefasst sein, dass ich mich angreifbar oder sogar strafbar mache, wenn ich nicht umfangreich genug informiere. Eigentlich bin ich die meiste Zeit mit der Dokumentation von irgendetwas beschäftigt, damit ich jederzeit nachweisen kann, dass ich meine Arbeit richtig und gut mache.“
Kerstin Jonas: „Ich höre bei Ihnen eine ordentliche Portion Frust darüber heraus, dass Ihre eigentliche Lehrtätigkeit durch so viele Nebenschauplätze überlagert wird. Empfinde ich das so richtig?“
Frau Mustermann: „Die Erziehungsarbeit, die mir durch die Eltern übertragen wird, übersteigt teilweise jedes normale Maß. Dazu kommt, dass die Lehrtätigkeit in Fächern wie Ethik und Religion, in denen die Werteentwicklung betont wird, aufgrund der Schülergruppen-Zusammensetzung (Haupt-, Real- und DAZ-Schüler in einer Lerngruppe) stellenweise nicht möglich ist. Die Klassen sind zu heterogen und Unterrichtsgespräche scheitern alleine schon an der Sprachbarriere. Die psychischen Belastungen steigen, denn vor den Schülerinnen und Schülern erscheint man als Animateurin für Themen, mit denen sie sich gar nicht auseinandersetzen wollen. Und gegenüber den Eltern fühle ich mich ständig in einer Rechtfertigungsposition. Die Unterscheidung von Erklärung und Rechtfertigung ist mir an manchen Tagen gar nicht mehr möglich.“
Kerstin Jonas: „Was müsste sich denn für Sie im Schulalltag ändern, damit Ihnen Ihr Beruf als Lehrerin wieder mehr Freude bereitet?“
Frau Mustermann: „Die Lehrpläne sind meines Erachtens immer noch überfrachtet und bedürfen einer Entrümpelung. Und es müsste wieder mehr Augenmerk auf das Wesentliche gerichtet werden: die Rechtschreibung. Am wichtigsten aber wäre es, wenn ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden würde und wir Lehrkräfte weniger an den Pranger gestellt und mehr wertgeschätzt würden. Wir geben alle unser Bestes, aber unter dem permanenten Druck von allen Seiten zerbricht man einfach früher oder später.“
5 Fragen an Johanna Schnatz – Grundschullehrerin in Kassel
Johanna Schnatz ist 33 Jahre alt und aktuell in Elternzeit. Sie hat in Bayern studiert und ihren Vorbereitungsdienst abgeleistet. Seit 2 Jahren arbeitet sie im Hessischen Schuldienst und ist seither Mitglied im VDL Hessen.
„Ich bin Grundschullehrerin geworden, weil ich das Gefühl hatte, dass ich sehr viel von meiner eigenen Person und meinen Interessen mit in die Schule bringen kann. An der Grundschule schaffe ich mit den und für die Schülerinnen und Schüler die Grundlagen für den weiteren Lebensweg und durch das Klassenleitersystem habe ich tatsächlich Einfluss auf die Kinder und deren Entwicklung.“
Kerstin Jonas: „Liebe Frau Schnatz, nach Ihrer Ausbildung im Bundesland Bayern arbeiten Sie jetzt seit 2 Jahren in Hessen an einer Grundschule. Finden Sie sich in unserem Titelthema ist „Bürokratie frisst Pädagogik“ wieder?“
Johanna Schnatz: „Im direkten Vergleich zu den Anforderungen, die an die bayerischen Grundschullehrkräfte gestellt werden, muss ich feststellen, dass in Hessen der bürokratische Aufwand geringer ausfällt. Während meines Referendariats und im Jahr danach musste ich mich mit deutlich höheren Anforderungen auseinandersetzen. Ich musste unter anderem einen mehrseitigen Stoffverteilungsplan zu jedem Fach erstellen, wo für jeden Monat die Inhalte festgelegt werden. Diesen Plan musste ich auch regelmäßig überarbeiten und aktualisieren. Je nach Lerntempo der Schülerinnen und Schüler wurden Phasen dann verkürzt oder verlängert und die Planung angepasst. Zusätzlich war ein Wochenplan zu Beginn der Woche zu erstellen, der am Ende der Woche wiederum evaluiert wurde, ob die Woche tatsächlich so verlaufen ist. So waren Vertretungen auch kein Problem, denn die Inhalte waren ja vorbereitet und für jede Ersatz-Lehrkraft im Stoffverteilungsplan ersichtlich, wo die Klasse gerade inhaltlich sein müsste. Ich habe auch kontinuierliche Schülerbeobachtungen in jedem Fach durchgeführt und mir ständig Notizen zum Sozial- und Arbeitsverhalten gemacht. Wenn eine Hausaufgabe im Arbeitsheft auf war, reichte auch nicht nur ein schlichtes Abhaken. Ich musste auf Rechtschreibung hin korrigieren und mit meinem Kürzel abzeichnen. Die Schulräte der Regierungspräsidien haben in regelmäßigen Abständen auch verbeamtete Lehrkräfte hinsichtlich ihrer Unterrichtsvorbereitung und pädagogischen Arbeit überprüft. Ich glaube, in Hessen müssen die Lehrkräfte ihr eigenes System finden. Den einen fällt es leichter, den anderen schwerer.“
Kerstin Jonas: „Welche Aufgaben sind über das „normale“ Unterrichten hinaus für Sie als Lehrkraft hinzugekommen?“
Johanna Schnatz: „Ich persönlich bin jemand, der viele Elterngespräch führt. Die empfinde ich allerdings nicht als Bürokratie. Der Sinn der Förderpläne hat sich mir bisher jedoch noch nicht erschlossen. Denn oft hängen diese nur in den Akten, ohne dass Klassenteams damit wirklich arbeiten oder sie evaluieren.“
Kerstin Jonas: „Wieviel Zeit nehmen diese zusätzlichen Aufgaben im Vergleich zur üblichen Vor- und Nachbereitung von Unterricht ein?“
Johanna Schnatz: „Alle Aufgaben, die zu der normalen Vor- und Nachbereitung von Unterricht dazu kommen, nehmen in etwa ein Drittel meiner gesamten Arbeitszeit für Schule ein.“
Kerstin Jonas: „Welche Auswirkungen hat das auf Sie als Lehrkraft? Hat dies auch Auswirkungen auf Sie als Person?“
Johanna Schnatz: „Da ich hier im Hessischen Schuldienst z.B. Schülerbeobachtung nur für einzelne Schülerinnen und Schüler so ausführlich machen muss, wenn sich z.B. ein Kontakt mit dem Jugendamt abzeichnet, bin ich froh, dass ich mich hier auf wenige Schüler und Schülerinnen konzentrieren kann. Wir wurden in der Bayerischen Ausbildung darauf gedrillt, dass Dinge wasserfest belegbar sein müssen. Das hilft mir dabei, zu fokussieren. So nervig es sein kann, dass Eltern nachhaken oder gar klagen (an meiner Brennpunktschule eher selten), so finde ich es grundsätzlich richtig, dass bestimmte Noten und Entscheidungen nachvollziehbar sein müssen. Willkür sollte es in der Schule nicht geben.“
Kerstin Jonas: „Was müsste sich am Lehrberuf ändern, damit es wieder mehr Spaß macht, als Lehrkraft zu arbeiten oder der Lehrberuf allgemein wieder attraktiv wird?“
Johanna Schnatz: „Ich wünsche mir mehr Doppelbesetzungen, schnellere Diagnosen durch die BFZ und dann auch wirklich regelmäßige Förderung. Und mir ist Freiraum für Ausflüge wichtig, weil sich so das Klassenklima erheblich verbessert und sich Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte in diesem Rahmen auch mal anders wahrnehmen können. Außerdem können durch thematisch passende Ausflüge Lerninhalte besser vermittelt und seitens der Kinder memoriert werden.“
5 Fragen an Tanja Selig, Sek-1-Lehrerin in Teilzeit
Tanja Selig ist seit dem Jahr 2000 als Beamtin im Hessischen Schuldienst und bereits seit ihrem Vorbereitungsdienst im VDL Hessen Mitglied.
„Ich mag die Arbeit mit den Kindern und möchte meine Begeisterung für meine Unterrichtsfächer an sie weitergeben. Der Lehrerberuf ist kein eintöniger Job, das gefällt mir!“
Kerstin Jonas: „Liebe Kollegin Selig, unser Titelthema der neuen Zeitschrift ist „Bürokratie frisst Pädagogik“. Finden Sie sich in dieser Aussage wieder?“
Tanja Selig: „Ich will vorweg anmerken, dass ich im Moment in Teilzeit arbeite und daher auch keine Klassenleitung habe. Deshalb schlägt bei mir die Bürokratie nicht in dem enormen Maße zu Buche, wie ich es von meinen Klassenlehrerkollegen/innen höre, denen sie das Leben erschwert.
Kerstin Jonas: „Welche Aufgaben sind denn dazugekommen, die über das „normale“ Unterrichten hinausgehen?“
Tanja Selig: „Durch die Inklusion, aber auch die lern- und verhaltensauffälligen Schülerinnen und Schüler, wird den Klassenlehrern eine riesige Verantwortung übertragen und eine Aufgabe zuteil, zu der sie keine Ausbildung erhalten haben. Die damit verbundenen Schreibarbeiten zur Dokumentation und die Informationskonferenzen, die in den Morgenpausen, während der Mittagsessenszeit oder nach dem Nachmittagsunterricht anfallen, stehlen Zeit für die „eigentliche“ Arbeit, den Unterricht. An unserer IGS gibt es „kein Sitzenbleiben“, daher müssen Förderpläne geschrieben und besprochen werden. Eine Veränderung im Schüler- und Elternverhalten ist aber danach oft nicht erkennbar. Trotz Laufbahnberatungsgesprächen scheinen sie das System IGS nicht zu verstehen (nicht verstehen zu wollen?) und hoffen bis auf die letzte Minute, dass Unmögliches möglich wird, obwohl man sich längst um einen Ausbildungsplatz oder eine andere Alternative hätte kümmern müssen. Dazu gehört auch das gesetzliche Einspruchsrecht bei angeratener Abstufung. Die Eltern nutzen es selbst dann, wenn sie vorher die angebotenen Förderstunden für ihre Kinder ablehnen oder sie diese nicht besucht haben. Das passt vom Gesetz her für mich nicht zusammen. Geht mein Kind nicht in den Förderkurs, sollte auch das Einspruchsrecht verfallen. Wie selbstverständlich kommen immer weitere Anforderungen hinzu: Erst wurde das neue Schulcurriculum auf Kompetenzen hin ausgerichtet, nun kommt noch das Mediencurriculum der Kultusministerkonferenz on top. Der Gedanke, all diese Kompetenzen in die eh schon vollen Schulcurricula zu integrieren, erscheint mir eine unlösbare Aufgabe. Unklar ist mir auch, wann sich die Lehrkräfte für diese Aufgabe fortbilden sollen, wenn erste Bausteine dieser Kompetenzen bereits in diesem Schuljahr vermittelt werden sollen. Von der fehlenden funktionierenden technischen Ausstattung mal ganz abgesehen. Es sollte auf jeden Fall ein nicht vom Schulbudget zu bezahlender IT-Manager zur Seite gestellt werden, sonst liegt auch diese Arbeit wieder auf den Schultern der Kollegen.“
Kerstin Jonas: „Wie viel Zeit nehmen diese zusätzlichen Aufgaben im Vergleich zur üblichen Vor- und Nachbereitung von Unterricht in Ihrem Alltag und in dem Alltag Ihrer Kolleginnen und Kollegen ein?“
Tanja Selig: „Man kann nie in gleichem Maße allen Aufgaben gerecht werden. Nur durch Prioritätensetzung lässt sich der Alltag meistern. Ob und wie viel an der Unterrichtsvor- und Nachbereitungszeit gekürzt wird, bleibt da die Frage.“
Kerstin Jonas: „Ich weiß, dass Sie als Mentorin für Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst eingesetzt sind. Ich stelle mir eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit zusätzlich zum normalen Unterricht recht schwierig vor, da auch damit zusätzliche Aufgaben verbunden sind. Empfinde ich das richtig?“
Tanja Selig: „Ja, ich empfinde es als eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe dem Nachwuchs jederzeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Eine gemeinsame Hospitationsstunde sollte im Stundenplan verankert sein. Durch die Ausbildungsgestaltung in Modulen sieht ein Ausbilder die Entwicklung seines LiVs über die 1 ½ Jahre (auch diese Kürzung erachte ich nicht als sinnvoll!) manchmal gar nicht. Da sollte wenigstens der Mentor die Möglichkeit haben, die Lehrerpersönlichkeitsentwicklung zu verfolgen. Dass vom Gesetz her keine Mentorenstunde verankert ist, sondern die Politik jetzt im Wahlkampf danach gerufen hat, zeigt, dass eigentlich eine „Wertschätzung“ dieser Arbeit im Sinne von Stundenanrechnungen gerechtfertigt wäre. Ob sich daran nun etwas ändern wird?“
Kerstin Jonas: „Das ist eine mehr als berechtigte Frage. Was müsste sich denn ändern, damit Sie Ihren Beruf auch auf lange Sicht hin mit Freude und Engagement weitermachen können? Und was können Dienststellen, das Kultusministerium und / oder die Landesregierung tun?“
Tanja Selig: „Viele Antworten darauf finden sich bereits oben in meinen Aussagen wieder. So wünsche ich mir als Mentorin mehr Zeit für die Begleitung der LiVs. Außerdem träume ich als Französischlehrerin auch von einem Konzept wie in Frankreich, das den Lehrern ein Team von „Erziehungsbeauftragten“ zur Seite stellt. Die Beauftragten für Verwaltungs- und Disziplinarfragen machen es in Frankreich möglich, dass sich die Lehrkräfte in erster Linie „nur“ um den Unterricht kümmern. Und als letzten Punkt, den ich hier nochmals unbedingt erwähnt haben möchte, wünsche ich mir, dass es zum Thema Mediencurriculum Unterstützung von höherer Seite im Sinne von „Medienstunden“-Zuteilungen oder Konzeptvorschlägen geben würde, und nicht jede Schule das Rad neu erfinden muss.“
5 Fragen an Ulrike Nödel
Ulrike Nödel ist Kreisvorsitzende des VDL-Kreisverbands Marburg-Biedenkopf und langjähriges Mitglied im VDL Hessen. Sie unterrichtet an einer kooperativen Gesamtschule.
Kerstin Jonas: „Liebe Ulrike, wir saßen im Frühjahr zusammen auf unserer Schulrechtsfortbildung in Fulda und hatten damals die Idee zum Thema „Bürokratie frisst Pädagogik“. Findest du dich in dieser Aussage wieder?“
Ulrike Nödel: „Unbedingt! Als wir uns bei der Fortbildung über die verschiedenen Formen der Nachteilsausgleiche usw. unterhalten haben, hat das einen Nerv getroffen. Denn die Bürokratie und der ganze Papierkram haben über die Jahre ganz allgemein zugenommen.“
Kerstin Jonas: „Was genau meinst du damit?“
Ulrike Nödel: „Ich zähle gerne mal ein wenig auf: BFZ-Anträge stellen, Anträge für das Bildungs- und Teilhabepaket ausfüllen und weiterleiten, in wesentlich kürzeren Abständen als früher Elternbriefe schreiben, Elterninformationsschreiben austeilen und die dazugehörigen Eltern-Unterschriften eintreiben, Förderpläne schreiben und mit Eltern und Schülern besprechen und so weiter. Ich könnte die Liste noch ein wenig fortführen.“
Kerstin Jonas: „Das klingt nach einem ordentlichen Zeitanteil, den diese zusätzlichen Aufgaben in Anspruch nehmen. Kannst du in etwa beziffern, wie viel Mehrarbeit darin steckt?“
Ulrike Nödel: „Ich würde das gerne aufrechnen, aber – um ehrlich zu sein – ich habe den Überblick verloren. Ich merke nur, dass der Tag mit seinen 24 Stunden manchmal nicht ausreicht. Von den üppigen Ferien, wegen denen wir Lehrkräfte gerne in der Kritik stehen, merke ich meistens nicht viel, weil ich dann nacharbeite, was liegen geblieben ist, und vorbereite, was ich in den nächsten Schulwochen machen will.“
Kerstin Jonas: „Das klingt nach einer Menge Stress. Und der wirkt sich sicherlich auch auf das Unterricht allgemein aus, oder?“
Ulrike Nödel: „Ich kann weniger ruhig unterrichten, als ich es früher getan habe. Ständig frage ich mich, ob ich irgendetwas versäumt habe, was ich eigentlich noch erledigen sollte. Auf Dauer frustriert das.“
Kerstin Jonas: „Was müsste sich ändern, damit das Arbeiten als Lehrerin dir persönlich wieder mehr Freude bereiten würde? Und hast du auch Ideen, wie Lehrkräfte insgesamt entlastet werden könnten?“
Ulrike Nödel: „Es wäre entlastend, wenn man häufiger in Doppelbesetzung arbeiten könnte und es mehr Förderschullehrkräfte gebe, die unterstützend an der Regelschule tätig sind. Wenn ich mir außerdem noch etwas wünschen dürfte, dann wären das pädagogische Mitarbeiter, die Kopieraufgaben übernehmen, Ausflüge und Fahrten organisieren und ähnliche Dinge. Das bindet nämlich Zeit neben der üblichen Vor- und Nachbereitung vom Unterricht. Außerdem wäre es wünschenswert, wenn – gerade im Ganztagssystem – klare Regelungen getroffen würden, dass man nicht vormittags und nachmittags an ein und demselben Tag eingesetzt wird. Die Springstunden sind absolut ungeeignet zur Vor- oder Nachbereitung, weil man sein Arbeitszimmer Zuhause hat.“
Kerstin Jonas: „Ich danke dir für deine offenen Worte und deine Ideen zur Lösung der Problematik.“
Wir wollen nicht warten bis die Bürokratie die Pädagogik endgültig aufgefressen hat! Wir wollen handeln!
Der VDL Hessen will nicht warten, bis die zusätzlichen Aufgaben der Hessischen Lehrkräfte die persönlichen Ressourcen übersteigen.
Der VDL Hessen will verhindern, dass Resignation, Verdruss und Überlastung durch Bürokratie die Leidenschaft für Pädagogik und Didaktik überlagern.
Vielmehr richtet der VDL Hessen seinen Appell an das Kultusministerium und die Landesregierung:
- Erhöhen Sie die Schuldeputate und damit die Deputate für inklusives und integrierendes Arbeiten, damit eine spürbare Reduktion der Wochenarbeitszeit an allen Schulformen ankommt!
- Zeigen Sie Hessens Lehrkräften, dass ihre Arbeit wertvoll und von Belang ist!
- Wertschätzen Sie die Arbeit an Hessischen Schulen durch eine angemessene Besoldung!
- Werten Sie den Beruf der Lehrerin / des Lehrers wieder auf!