Presseerklärung des Hessischen Kultusministeriums vom 21.01.2016

 

Sonderpädagogische Förderung

Hessen startet „inklusive Schulbündnisse“

  • Wahlfreiheit der Eltern sichern
  • Schülerinnen und Schüler von der Anmeldung bis zum Abschluss durchgängig begleiten
  • sonderpädagogische Lehrkräfte effektiver einsetzen, allgemeine Lehrkräfte professioneller unterstützen
  • Gesamtstellenzahl sonderpädagogischer Lehrkräfte garantieren

Der Hessische Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz hat heute in Wiesbaden die Einrichtung von regionalen „inklusiven Schulbündnissen (iSB)“ zum kommenden Schuljahr 2016/2017 vorgestellt. Sie stellen eine Weiterentwicklung der bisherigen „Modellregionen Inklusive Bildung“ dar und sollen innerhalb von drei Jahren in ganz Hessen eingeführt werden. So sollen im Rahmen der „inklusiven Schulbündnisse“ die verfügbaren sonderpädagogischen Lehrerstellen vor Ort flexibler und entsprechend dem Elternwunsch auf die inklusive Beschulung an allgemeinen Schulen auf der einen Seite und den Förderschulen auf der anderen Seite verteilt werden. „Unser Ziel ist es, die Wahlfreiheit von Eltern mit Kindern mit umfassenden Beeinträchtigungen noch effektiver zu gestalten. Zukünftig werden außerdem alle Stellen in der sonderpädagogischen Förderung zu einem Pool zusammengefasst und garantiert“, erklärte Kultusminister Lorz und ergänzte weiter: „In den Modellregionen unterrichten wir bereits rund 44 % aller hessischen Schülerinnen und Schüler. Nicht zuletzt haben wir dabei sehr wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt, die uns nun als Grundlage für die Einrichtung der ‚inklusiven Schulbündnisse‘ dienen. Die Einführung ist daher eine logische Weiterentwicklung mit dem Ziel, möglichst keinen Elternwunsch auf inklusive Beschulung ablehnen zu müssen und gleichzeitig zentrale Elemente der Modellregionen sukzessive auf ganz Hessen zu übertragen und damit noch verlässlichere Strukturen zu schaffen.“

Das jetzige System gewährleiste noch nicht in jedem Einzelfall jedem Kind, dessen Eltern den optimalen persönlichen Lernort an der allgemeinen Schule sehen, eine inklusive Beschulung zu ermöglichen. Hintergrund sei, dass die Ressourcen bisher nach zwei getrennten Systemen zugewiesen würden: So erhöhe sich beispielsweise für Förderschulen die Lehrerstellenzahl bei steigenden Schülerzahlen, wohingegen bei inklusiv arbeitenden Schulen die Lehrerzuweisung von einer für Hessen  festgeschriebenen Lehrerstellenzahl abhänge. „In letzter Konsequenz kann so dem Wunsch auf inklusive Beschulung zur Zeit noch vereinzelt aufgrund fehlender personeller Ressourcen nicht stattgegeben werden. Mit den neuen ‚inklusiven Schulbündnissen‘ setzen wir genau dort an und ’schaffen bessere Ausgangsbedingungen für schulische Inklusion“, ergänzte Lorz.

Das Konzept der „inklusiven Schulbündnisse“ wurde in enger Abstimmung mit den beiden bildungspolitischen Sprechern von CDU und GRÜNE, Armin Schwarz und Mathias Wagner entwickelt und greift zudem eine Anregung des Bildungsgipfels auf, der  auf den besonderen Stellenwert der regionalen Netzwerk- und Bündnisarbeit hingewiesen hat. Regionale Netzwerke sind in verschiedener Intensität bereits heute vorhanden. In den „inklusiven Schulbündnissen“ erhalten die Akteure vor Ort mit dem Wissen um die lokalen Gegebenheiten mehr Handlungsspielraum und mehr Eigenverantwortung und nutzen die formellen und informellen Kontakte.

Aufbau und Struktur

Ein „inklusives Schulbündnis“ ist eine Kooperation verschiedener allgemeiner Schulen, der Förderschulen  sowie regionaler und überregionaler Beratungs- und Förderzentren (BFZ) in einer bestimmten Region, deren Zuschnitt sich an den derzeit rund 100 hessischen regionalen Beratungs- und Förderzentren orientieren soll. Innerhalb dieser Schulbündnisse wird demnach verlässlich vereinbart, wie Schülerinnen und Schüler durch vorbeugende Maßnahmen unterstützt werden und Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, von der 1. Klasse an bis zum Erreichen des bestmöglichen Schulabschlusses beschult werden können – sei es an Förderschulen oder im inklusiven System. Übergänge im Bildungsweg werden durch verbindliche Absprachen zwischen abgebenden und aufnehmenden Schulen klar geregelt, so dass zum Beispiel ein Kind, das in der Grundschule inklusiv beschult wurde, einen nahtlosen Anschluss an das passende inklusive Angebot im weiterführenden Bereich findet, sofern dies von den Eltern gewünscht wird. „Inklusive Schulbündnisse“ sind daher so zugeschnitten, dass über die darin enthaltenen Schulen alle Bildungsgänge für alle Jahrgangsstufen angeboten werden.

Durch die Einbindung sowohl regionaler als auch überregionaler BFZ gibt es zudem Angebote für alle Förderschwerpunkte. Bei Bedarf können die Schulen mit Schulträgern, Jugend- und Sozialhilfe, Vereinen, Kindertagesstätten oder außerschulischen Partnern (beispielsweise in der Betreuung) in der neuen Struktur effektiver kooperieren. Die Staatlichen Schulämter begleiten und unterstützen die iSB.

In ein iSB sind alle Schulen im jeweiligen Einzugsbereich des Bündnisses eingebunden. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass jede Schule automatisch auch inklusiv arbeitet und jede inklusiv arbeitende Schule auch ein Angebot für jeden Förderschwerpunkt vorhält. Schulen sollen stattdessen vielmehr Schwerpunkte bilden können. Welche allgemeine Schule letztlich welche Aufgaben übernimmt, wird über eine Konferenzstruktur innerhalb des Bündnisses festgelegt. Nicht zuletzt kommen wir dem berechtigten Wunsch vieler Lehrkräfte im inklusiven Unterricht nach, Sonderpädagogen möglichst mit ihrer vollen Stundenzahl an nur einer allgemeinen Schule einzusetzen und somit personelle Präsenz und Kontinuität zu sichern. Gleichzeitig bleiben sie dem regionalen Beratungs- und Förderzentrum als Dienststelle zugeordnet, wodurch der fachliche Austausch und adäquate Vertretungsregelungen gesichert werden“, ergänzte Lorz.

210 zusätzliche Stellen für die Umsetzung der Bündnisse

Die „inklusiven Schulbündnisse“ starten zum Beginn des Schuljahres 2016/2017 und werden verteilt über die nächsten drei Schuljahre in drei Stufen eingeführt und mit insgesamt 210 zusätzlichen Stellen ausgestattet. „Diese Lehrerstellen dienen vor allem der Unterstützung der Schülerinnen und Schüler und der Einrichtung „inklusiver Schulbündnisse“ (Aufbau von Konferenzstrukturen, Gestaltung von Übergängen etc.). Zudem entsprechen wir damit dem Anliegen der  Schulen, bei der Umsetzung der Inklusion besser unterstützt zu werden“, erläuterte der Kultusminister. Im ersten Jahr der Einführung eines iSB sollen zunächst eine Konferenzstruktur etabliert, die Verfahren angepasst, die Aufgaben und Ressourcen auf allgemeine Schulen und Förderschulen verteilt, die schulischen Partner einbezogen und die Förderausschüsse – sofern erforderlich – eingerichtet werden. Hiermit wird allen Beteiligten Zeit gegeben, Strukturen und Absprachen zu entwickeln, die tragfähig sind.

Ressourcenzuweisung wird neu angepasst und damit flexibler

Zur Stärkung der Wahlfreiheit zwischen inklusivem und Förderschulsystem wird die Zuweisung der jeweiligen Ressourcen geändert und völlig neu angepasst. Künftig werden alle Stellen zur sonderpädagogischen Förderung in einem Pool zusammengefasst. Zudem wird das verfügbare Gesamtbudget für die sonderpädagogische Förderung (d.h. die Summe aller Stellen an Förderschulen, unabhängig vom Förderschwerpunkt und in der inklusiven Beschulung) auf dem Niveau des Schuljahres 2015/16 mit Stand Oktober 2015 hessenweit festgeschrieben und damit garantiert. Diese sonderpädagogische Gesamtressource wird jedem Staatlichen Schulamt zugewiesen. Die garantierte Ressource berücksichtigt die demografische Entwicklung im Schulamtsbereich. Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied der Lehrerzuweisung zu den „Modellregionen Inklusive Bildung“, in denen die Zuweisung für maximal drei Förderschwerpunkte festgeschrieben wurde. Nun mehr wird die Zuweisung für alle acht Förderschwerpunkte garantiert.

Um jedem Kind mit Beeinträchtigungen die freie Wahl zwischen Förderschulen und der inklusiven Beschulung zu ermöglichen, wird gleichzeitig eine Flexibilisierung der Ressourcenzuweisung in Abhängigkeit von den Förderschwerpunkten vorgenommen: Für den gesamten Bereich der Förderschwerpunkte „Geistige Entwicklung“, „Hören“, „Sehen, Blinde“ sowie „Körperliche und motorische Entwicklung“ wird in Zukunft die Möglichkeit geschaffen, die Förderschulressource auf die inklusive Beschulung in der allgemeinen Schule zu übertragen. Dies bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Stunden unabhängig vom Förderort erhalten. Die Ressourcen für den Unterricht in den zahlenmäßig überwiegenden Förderschwerpunkten „Lernen“, „Emotionale und soziale Entwicklung“ und „Sprachheilförderung“ (L-E-S Ressource) an Förderschulen und an allgemeinen Schulen werden in die Gesamtverantwortung der neu eingerichteten „inklusiven Schulbündnisse“ unter Steuerung des jeweiligen Staatlichen Schulamts gelegt. Die zentrale Lenkungsaufgabe der Staatlichen Schulämter besteht darin, eine schulbezogene Ausstattung beider Systeme (Förderschule und allgemeine Schule) in den überwiegenden Förderschwerpunkten L-E-S sicherzustellen.

Bei einem Rückgang der Schülerzahl an Förderschulen verbleiben die zusätzlichen Förderschullehrerstellen für den inklusiven Unterricht an allgemeinen Schulen. Die Konferenzen des „inklusiven Schulbündnisses“ legen anhand der Elternwahl und unter Berücksichtigung einer ausgeglichenen Ausstattung fest, welche Lehrerstellen in den inklusiven Unterricht und welche in die Förderschulen fließen.

Diese Flexibilisierung der Ressourcenzuweisung trägt dazu bei, eine pädagogisch orientierte Wahl zwischen beiden Lernorten in Abhängigkeit vom Kindeswohl und dem Elternwillen zu ermöglichen. Der Mechanismus eines gemeinsamen Stellenpools für sonderpädagogische Förderung wird in den hessischen Modellregionen Inklusion schon mit großem Erfolg angewendet. Er führt dazu, dass Lösungen gefunden werden, die zur Situation vor Ort passen.

Kultusminister Lorz erklärte abschließend: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den neuen ‚inklusiven Schulbündnissen‘ dem Aktionsplan der Hessischen Landesregierung zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und dem Hessischen Schulgesetz, das seit der Änderung im Jahr 2011 die Beschulung in der allgemeinen Schule als Regelfall vorsieht, in exzellenter Art und Weise gerecht werden. Die neuen Bündnisse bieten uns daher die Chance und Voraussetzung, einen möglichst wohnortnahen und hochwertigen Unterricht für jede Schülerin und jeden Schüler unter Berücksichtigung des Wahlrechts der Eltern anzubieten. Im Mittelpunkt der neuen ‚inklusiven Schulbündnisse‘ steht das Wohl des einzelnen Kindes, das während  seiner Schullaufbahn individuelle Beschulung, Förderung, Begleitung und Unterstützung auf dem Weg zu einer möglichst selbstständigen Teilhabe an der Gesellschaft erfährt.“

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