Baden-Württemberg braucht eine starke Realschule und kein zweigliedriges Schulsystem durch die Hintertür
Sehr geehrte Frau Ministerin, liebe Frau Schopper,
gemeinsam wenden wir uns als die Vorsitzenden des Bundesverbandes, dem Verband Deutscher Realschullehrer (VDR), und des Landesverbandes, dem Realschullehrerverband Baden-Württemberg (RLV), an Sie, um unser Unverständnis über die vorgesehenen Maßnahmen bei der Anwendung der verbindlichen Grundschulempfehlung sowie der Zusammenlegung von Schularten zu äußern.
Tagtägliche Rückmeldungen von unseren Kolleginnen und Kollegen an den Realschulen vor Ort, machen uns deutlich, dass große Verunsicherung, aber auch Wut vorherrscht. Als Realschulverbände fordern wir Sie daher auf, die Anwendung und die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung exakt zu klären und unsere Realschulen als eigenständige Schulart zu behandeln. Unsere Schulart muss bei der verbindlichen Grundschulempfehlung im Übertrittsverfahren abgebildet werden. Im Detail ist aus unserer Sicht die 2 aus 3 Regel konsequent beim Übertritt auf das Gymnasium, aber auch auf die Realschule, anzuwenden, und zwar ohne nachträgliche Schlupflöcher, die die Empfehlung der Grundschule und den standardisierten Leistungstest in Mathematik und Deutsch komplett aushebeln können. Um es aber in diesem Zusammenhang auch klar zu sagen: Die Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung beim Übertritt sehen wir selbstverständlich als richtig an.
Weiter fordern wir Sie auf, die politische Steuerung zugunsten von Verbundrealschulen aus Realschulen und Werkrealschulen, den früheren Hauptschulen, aufzugeben. Mit Blick auf diese Maßnahme können wir nicht mehr erkennen, dass Ihnen die Gleichwertigkeit der beruflichen zur akademischen Bildung wichtig ist. Denn: Mit den nun im Raum stehenden Beschlüssen sehen wir zum einen eine besondere Hervorhebung der Schulart Gymnasium und zum anderen ist durch die Verbundrealschulen eine weitere Absenkung der Schulqualität an den Realschulen zu erwarten.
Wir sind überzeugt: Schulstrukturdebatten lösen keine bildungspolitischen Herausforderungen, sondern schaffen zumeist zusätzliche Probleme. Als VDR und RLV BW stehen wir zur starken Realschule in Baden-Württemberg und lehnen es vehement ab, wenn über die Köpfe der Menschen und von oben herab ein zweigliedriges Schulsystem implementiert werden soll. Neben bekannten Weltkonzernen und zahlreichen Familienbetrieben hat Baden-Württemberg auch viele mittelständische „Hidden Champions“ aus verschiedenen Branchen der Wirtschaft, die mit ihren Namen und Marken für das Land stehen. Basis für den Erfolg dieser Unternehmen sind vielfach die Absolventinnen und Absolventen der Realschule und die besondere Nähe zur beruflichen Bildung, die unsere Schulart auszeichnet. Es wäre daher fatal für den Wirtschaftsstandort, wenn man jetzt erneut die Realschule in Frage stellt. Schauen wir in den Norden der Republik: In Schleswig-Holstein hat man die Realschule ohne Not abgeschafft und sukzessive auf die Gemeinschaftsschule gesetzt. Bereits im Ländervergleich der IQB-Studie 2018 zeigte sich, dass Bundesländer wie Bayern, die auf ein differenziertes Bildungssystem setzen, stets zu den Gewinnern zählten, während Schleswig-Holstein nur noch mittelmäßige Leistungen hervorbrachte. Fakt ist: Die Gemeinschaftsschule hat die Erwartungen nicht erfüllt und daher wollen viele Menschen im hohen Norden auch die Realschulbildung zurück. In Vergleichstests war Baden-Württemberg früher immer in der Spitzengruppe, in den letzten Jahren sind die Leistungen abgerutscht. Damit das „Ländle“ wieder in die Spitzengruppe kommen kann, braucht es aus unserer Sicht keinen einseitigen Fokus der verbindlichen Grundschulempfehlung auf das Gymnasium oder Schulstrukturdebatten durch die Hintertür, sondern eine starke Realschule vor Ort. Unser Profil hat über Jahrzehnte bewiesen, dass wir die Nähe zur regionalen Wirtschaft besitzen und über die gute Verbindung aus Theorie und Praxis den besten Weg in die berufliche Bildung darstellen. Es ist nicht die Komplexität des Schulsystems, das die Eltern stört, sondern die sukzessive Abschaffung der Realschule.
Wir hoffen, dass Sie als zuständige Ministerin die bisher angekündigten Maßnahmen noch einmal auf den Prüfstand stellen und gemeinsam mit den Lehrerverbänden sowie den Kammern und Wirtschaftsverbänden diskutieren werden.
Aus unserer Sicht ist ein leistungs- und begabungsorientiertes, differenziertes und vielfältiges Bildungswesen die Voraussetzung für die gesellschaftliche und berufliche Teilhabe von jungen Menschen. Wir müssen daher die Qualität unserer Schularten stärken. Dabei ist die Realschule ein wichtiger Pfeiler für den Erfolg Baden-Württembergs.
Gerne stehen wir Ihnen für den weiteren Austausch zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Neugschwender Dr. Karin Broszat
Bundesvorsitzender des VDR Landesvorsitzende des RLV BW